Myanmars Wandel oder: Die Suche nach der Freiheit

Recherchereise nach Myanmar im Februar 2015

Text: Nina Belz & Sarah Judith Hofmann – Fotos: Sarah Judith Hofmann

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Bis vor fünf Jahren eine abgeschottete, international geächtete Militärdiktatur, ist Myanmar inzwischen bei Investoren und Touristen kein Geheimtipp mehr. Die Dynamik im Land ist fast mit bloßem Auge sichtbar. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Lizenz für irgendein Geschäftsfeld vergeben wird, ein neues Produkt auftaucht oder ein Infrastrukturprojekt an Fahrt gewinnt. Aber was hat sich für die Menschen wirklich verändert, seit die Militärregierung 2010 ihre Uniform gegen zivile Kleider tauschte? Ist das Land bereit für die Wahlen, die Präsident Thein Sein für Ende 2015 angekündigt hat? Diese Fragen hat eine jn-Gruppe im Februar 2015 recherchiert.

Yangon ist keine Stadt, die man sofort ins Herz schließt. Sie ist laut und schmutzig, der Verkehr chaotisch, die Hitze bisweilen schier unerträglich. Zu britischen Kolonialzeiten waren einige der Straßen, die von japanischen Bussen und einer beachtlichen Zahl an Neuwagen verstopft sind, Prachtboulevards. Der Glanz vergangener Zeiten lässt sich heute unter den oft rußgeschwärzten Fassaden der Häuser allenfalls erahnen. Es ist nicht überliefert, ob die zehn übermüdeten deutschen Journalisten dazu die Fantasie aufbrachten, als sie sich an jenem Sonntag im Februar ein erstes Mal durch „Downtown“ schleppten. Dass in Myanmar vieles auf den zweiten Blick anders erscheint, als noch beim ersten gedacht, sollte uns in den kommenden zwei Wochen noch öfter bewusst werden. So war es übrigens auch im Fall von Yangon. Nette Ecken gibt es da nämlich durchaus, und zwar längst nicht nur im Schatten der Shwedagon-Pagode.

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Im allerletzten Moment haben die myanmarischen Behörden entschieden, dass es in Ordnung ist, wenn man in Europa etwas mehr darüber erfährt. Damit haben sie die beiden Organisatoren der Reise, Georg Fahrion und Max Kuball, ziemlich ins Schwitzen gebracht: Die zehn Journalisten-Visa gab es erst einen Tag vor dem Abflug. Im Land bewegen wir uns zunächst relativ frei. Unsere Gesprächspartner erzählen gern und offen von Veränderungen in ihrem Leben. Etwas zu berichten hat fast jeder. Das fängt bei unserem Übersetzer an, der Jahre im Gefängnis saß und nun für die Oppositionspartei ins Parlament will. Es trifft auf den Film-Regisseur zu, der sich kaum mehr vor Zensur fürchten muss. Auf die NGO-Mitarbeiterin, deren Organisation nun plötzlich vom Präsidenten angehört wird. Oder auf die Land Grabbing-Opfer, die zwar schon vor mehr als 20 Jahren enteignet wurden, sich aber erst jetzt trauen, dagegen zu protestieren.

Diese fünf älteren Damen führen die zehn Ausländer gar zu den Grundstücken, die einst ihnen gehört haben. Heute sind sie von Mauern oder hohen Zäunen umgeben. Dahinter stehen schicke Häuser, zum Teil wuchert aber auch einfach die Wildnis. Ein rotes Schild warnt: militärisches Sperrgebiet. Die Frauen mussten bereits vor Jahren in einen anderen Stadtteil ziehen. Damit abgefunden haben sie sich aber nicht. Seit Wochen campieren sie deshalb von dem höchsten Gericht in Yangon.

Doch die neue Freiheit, das zeigt sich rasch, kennt klare Grenzen. Als wir mit den Frauen das Restaurant verlassen, in dem sie uns ihre Geschichten erzählt hatten, wartet dort wenig diskret die Geheimpolizei. Einige Tage später sollten wir erfahren, dass die Frauen wegen ihrer Protestaktion zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Bald heißt es auch, dass wir zu den Studenten, die im ganzen Land gegen ein neues Bildungsgesetz protestieren, besser keinen Kontakt suchen sollen. Den Grund für die Paranoia können wir mit Blick auf die Studentenproteste in den achtziger Jahren nur vermuten.

Auch in der Zentrale der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), der Partei von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, ist man zurückhaltend beim Thema Studenten. Wir sprechen mit der Nummer 2 der Partei, U Tin Oo. Der Wahlkampfleiter lässt zwar keinen Zweifel daran, dass er der Regierung von Thein Sein nicht über den Weg traut. Angesichts seiner Mission, die größte Oppositionspartei Ende des Jahres siegreich ins Parlament zu führen, will er dennoch nicht zu deutlich Stellung beziehen. Die Nachricht, die Tin Oo uns mitgeben will, ist fürwahr viel einfacher als jedes Parteiprogramm: „She must be the president!“

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Sollte es denn so weit kommen – um ihren Arbeitsplatz wäre Aung San Suu Kyi nicht zu beneiden. Myanmars Machtzentrum, die 2005 mitten im Dschungel errichtete Retortenstadt Naypyidaw, ist so ziemlich das Gegenteil davon, was man sich unter einer Hauptstadt vorstellt. Anstatt des prallen Lebens herrscht rund 300 Kilometer nördlich von Yangon gespenstische Einöde. Hier gibt es den Platz auf den Straßen, der in Yangon fehlt: Zehn Spuren – und keinen Verkehr. In den überdimensionierten Shopping-Centern stehen sich die Angestellten die Beine in den Bauch. Die zahlreichen Hotelanlagen sind so riesig, dass man mit Golf-Caddies zu den Zimmern gefahren wird. Den einzigen Behörden-Termin im Handelsministerium verlassen wir mit mehr Fragen als Antworten. Ausgerechnet in der Hauptstadt scheint Myanmar, das Land im Wandel, still zu stehen.

In Bagan, fünf Busstunden weiter nordöstlich, finden wir nicht nur wieder etwas Leben, sondern auch den perfekten Platz, um das Wochenende einzuläuten: Mitten in den alten Tempelanlagen und an den Ufern des mächtigen Irrawaddy-Flusses gelegen, lässt uns unser Hotel kurz vergessen, dass wir eigentlich zum Arbeiten hier sind. Die Stunden, die wir nun schon zusammen in einem Bus unterwegs waren, haben außerdem eine Art Klassenfahrt-Dynamik erzeugt. Gesprächsstoff gibt es nach Woche eins genug, nur ist der Rum aus dem Geister-Supermarkt leider schon kurz nach Mitternacht leer. Oder vielleicht auch zum Glück: Denn zu den Recherchen über Tourismus – so das offizielle Wochenendprogramm – gehören auch Eindrücke vom Sonnenaufgang über den Tempeln. Das heißt: Aufstehen um 5 Uhr in der Früh.

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Unsere nächste Station ist Mandalay, Burmas zweitgrößte Stadt. Wüsste man das nicht aus dem Reiseführer, man würde es nicht vermuten. Mandalay ist irgendwie schwer zu fassen – es gibt kein wirkliches Zentrum und die Straßen sehen alle ähnlich aus. Sie seien nach Berufen aufgeteilt, erklärt uns der Reiseleiter, der uns einen Tag herumführt. Er bringt uns etwa in die Steinmetz-Straße. Dort sitzen junge Männer über riesigen Marmorblöcken. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird daraus eine Buddha-Statue – aus Mandalay werden die Tempel im ganzen Land versorgt. Überhaupt liegt unser Fokus in Mandalay mehr auf dem täglichen Lebend der Birmanen als auf der hohen Politik. Und es bleibt Zeit für eigene Schwerpunkte bei den Recherchen. Während sich die einen anschauen, wie junge Journalisten ausgebildet werden, treffen sich andere mit einer jungen Prostituierten, die von ihrem Leben am Rande der Gesellschaft erzählt. Und wir haben nicht zuletzt Zeit, Orte zu besuchen, für die rund drei Millionen Touristen im Jahr nach Myanmar reisen. In Mandalay gibt es nicht nur die längste Teakholzbrücke und das größte Buch, sondern auch die vielleicht seltsamste Komikertruppe der Welt. Nach der Show der „Moustache Brothers“ – einst die bissigsten Regimekritiker im Land – wissen wir allerdings nicht genau, ob wir lachen oder weinen sollen – so aus der Zeit gefallen erscheint die Show der Familientruppe. Wir entscheiden uns für kühles Bier.

Besonders spannend sind schließlich unsere letzten Tage, die wir im Kachin-Staat im Norden Birmas verbringen. In dessen Hauptstadt Myitkyina ticken die Uhren anders – und sei es nur, weil man es hier mit der Pünktlichkeit etwas weniger genau nimmt als im Rest des Landes. Das Essen ist schärfer, der Rhythmus etwas langsamer und die Nächte dunkler. Und die Menschen, denen wir begegnen, sprechen überraschend gut Englisch. Wir versuchen unter anderem der Frage auf den Grund zu gehen, weshalb der bewaffnete Arm der ethnischen Minderheit der Kachin sich weigert, mit der Regierung ein Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen. War einer der Chefunterhändler des Präsidenten in Yangon noch sehr zuversichtlich, dass es vielleicht noch vor den Wahlen zu einem Durchbruch kommen könnte, zeichnen uns Vertreter der Zivilgesellschaft ein sehr viel düsteres Bild. Sie berichten von unerfüllbaren Forderungen der Zentralregierung, von systematischer Diskriminierung und von der zweifelhaften Rolle des Militärs. Da kann die internationale Gemeinschaft noch so viele Hoffnungen auf die Wahlen setzen. Im nördlichsten Staat des Landes glaubt man kaum, dass sich dadurch irgendetwas zum Besseren wenden wird.

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Bevor wir zurück nach Yangon fliegen, besuchen wir noch jenen Ort, von dem vermutet wird, dass er dem Reformkurs der Regierung einen wichtigen Anstoß gegeben hat: Die Gegend um den Myitsone-Staudamm. Als Thein Sein das chinesische Projekt auf Eis legte, sahen manche sahen darin eine Abkehr von dem übermächtigen Nachbarn, der sich immer weiter in Myanmar ausbreitet. Die Baustelle selbst ist streng bewacht. Aber am Zusammenfluss der Flüsse N´Mai und Mali zur Lebensader des Landes, dem Irrawaddy, finden wir jemanden, der uns von der Geschichte des Damms erzählen will. U Khum Naw Khang und seine Familie wurden vor einigen Jahren umgesiedelt, weil sein Grundstück geflutet werden sollte. Das neue Dorf steht 20 Fahrtminuten entfernt etwas mehr im Landesinneren. Die alten Häuser aber stehen noch – und U Khum Naw Khang ist eigentlich viel lieber hier, direkt am Flussufer. Seit das Projekt gestoppt wurde, leben er und seine Familie also zwischen zwei Welten – denn was mit dem alten Dorf passiert, ist nicht klar. Er weiß einzig, dass die Reissubventionen, welche die Regierung den Bewohnern versprochen hat, in diesem Jahr auslaufen sollen. Wie wird ein neuer Präsident zu dem Staudammprojekt stehen?

Es ist nur eine von vielen Fragen, die wir mitnehmen, als wir ins Flugzeug zurück nach Yangon steigen. Ein Abend bleibt uns noch, und es wird höchste Zeit, die Möglichkeiten des Yangoner Nachtlebens auszukosten. Sie sind nicht sehr zahlreich und doch halten wir halten es lange aus – schließlich ist gute Gesellschaft das, was zählt. Und so erleben wir Yangon am letzten Tag ganz ähnlich wie am ersten: Laut, heiß – und ein bisschen anstrengend. Aber wir wissen nach zwei Wochen so viel mehr über dieses Land, von dem die Reisemagazine schwärmen. Und spätestens wenn am Irrawaddy gewählt wird, wollen wir unsere eigenen Geschichten publiziert haben – die Tipps, wo man in Yangon am besten ein kühles Bier trinkt und die Nacht durchtanzt, inklusive.

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Die Reise nach Myanmar wurde organisiert und begleitet von Georg Fahrion (Capital) und Max Kuball (Deutschlandradio Kultur). Die Reise erfolgte in Partnerschaft mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, welche die Reise auch finanziell unterstützte. Weitere Sponsoren waren der Konsumgüterkonzern Henkel, Studiosus Reisen sowie CARE Deutschland. Wir danken allen Partnern und Sponsoren für ihre Unterstützung!