Zwischen Strand und Checkpoint

Recherchereise nach Israel und die Palästinensergebiete im Mai 2017

Text und Fotos: Lennart Herberhold

Für ungeduldige Leser: Das Wetter war toll, die Falafel auch, und die Lösung für den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis haben auch wir nicht gefunden.

Für Leser mit etwas mehr Geduld: Unsere Recherchereise nach Israel und ins Westjordanland war, um einen mitreisenden Kollegen zu zitieren, wie der Blick durch ein Kaleidoskop: Das Bild veränderte sich ständig. Verwirrend war’s, herausfordernd, manchmal sogar verstörend. Aber der Reihe nach:

Ganz in Weiß (aber auch ganz schön eng hier)

Los geht’s in Tel Aviv, der liberalsten Stadt des Landes und vermutlich der offensten in der ganzen Region: weißer Sand, nackte Haut, glitzernde Hochhäuser und Hummus, so weit das Auge reicht. Mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland wird die Weiße Stadt restauriert, mehr als 4000 Häuser im Bauhaus-Stil, in den 1930ern entworfen von jüdischen Architekten, die  aus Deutschland geflohen waren. Die Häuser müssen mit Bunkern ausgestattet sein, die Raketen aus dem Gaza-Streifen während der letzten Intifada hat hier niemand vergessen. Nachmittags: Treffen mit Prof. Azar Gat, ein Experte für Sicherheitspolitik. „In von Palästinensern dicht besiedelten Gebieten Siedlungen zu bauen, ist vollkommener Wahnsinn“, sagt der Professor. Gleichzeitig betont er, dass Israel trotz aller Konflikte und Bedrohungen immer eine Demokratie geblieben sei. Als wir uns verabschieden, zeigt er aus zwei Fenstern: „Hier sind die Palästinensergebiete, hier ist das Mittelmeer, und dazwischen liegt Tel Aviv.“ Was will er uns damit sagen? Vielleicht das: Es ist eng in diesem Land, wir hocken alle aufeinander, da kann man schon mal nervös werden.

It’s the economy, stupid!

Am nächsten Tag: Rein in die gute Stube! Ma’ale Adumim, eine der größten israelischen Siedlungen im Westjordanland, präsentiert sich als Vorzeigestadt vor den Toren Jerusalems. Der Bürgermeister verteilt Werbeprospekte und Nettigkeiten, bevor er dann doch fuchtig wird: Viele NGOs würden aus dem Ausland bezahlt, um Stimmung gegen die israelische Regierung zu machen. Ein Siedler stimmt zu: Die europäische Berichterstattung sei einseitig und voller Fehler. Später sagt er noch zwei Sätze, die uns im Gedächtnis bleiben: „Beide Seiten mogeln so gut sie können. Aber nur weil eine Seite schwächer ist, heißt das nicht, dass sie recht hat.“

Führung durch eine Fabrik, in der Palästinenser und Juden zusammen arbeiten. Die transnationale BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) gegen die Siedlungspolitik bedrohe die Arbeitsplätze vieler Palästinenser, sagt uns ein palästinensischer Ingenieur. Mit den jüdischen Kollegen verstehe er sich gut. Gemeinsam arbeiten, das sei der wahre Friedensprozess, schärft uns ein israelischer Manager ein. It’s the economy, stupid!

„Es ist Kolonialismus“, kontert Roy Yellin. Am Abend treffen wir den Pressesprecher der NGO B’Tselem, die Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten registriert und meldet. „Ein Land, das Millionen von Menschen ihre Menschen- und Bürgerrechte verweigert, kann sich nicht demokratisch nennen“, sagt Yellin. Zwanzig Prozent aller Israelis unterstützen die Arbeit von B’Tselem. Nicht viel, aber ausreichend, findet er. Doch die Zivilgesellschaft gerate unter der Regierung Netanjahu zunehmend unter Druck.

In der Geisterstadt

Weiter nach Hebron. Während Ma’ale Adumin, Kolonialismus hin oder her, für Palästinenser zumindest noch Arbeit zu offenbar einigermaßen akzeptablen Bedingungen bietet, ist die Altstadt von Hebron ein einziges Trauerspiel: Mauern mit Stacheldraht, Autowracks, ein paar palästinensische Familien, ultraorthodoxe jüdische Siedler und dazwischen israelische Soldaten, die meisten mit fast noch kindlichen Gesichtern. Fight ghost town, hat jemand auf eine Wand gesprüht. Der Verein SOS Kinderdörfer versucht, palästinensische Familien vor dem völligen Absturz zu bewahren, bietet Nachhilfe und Weiterbildungsprogramme an. Mit einem gewissen Erfolg, wenn man den beiden Familien, zu denen wir geführt werden, glauben darf. Als wir die Altstadt verlassen, kommen uns junge Siedler entgegen. Singend, grölend, auf der Suche nach Stress. Manchmal ist dieser Konflikt auch sehr schlicht.

Reise in die Vergangenheit

Der dritte Tag: Gang durch die Altstadt von Jerusalem, zum Tempelberg, diesem Zankapfel aus Stein. Betende Soldaten an der Klagemauer. Jahrtausendealte Geschichte, religiöse Hingabe und religiöser Wahn. Ein Händler verkauft Dornenkronen für christliche Pilger, die es besonders ernst meinen. Nachmittags die etwas jüngere Geschichte: Das Holocaust-Mahnmal von Yad Vashem. Die Fotos von hungernden, verzweifelten Kindern im Warschauer Ghetto treiben einem die Tränen in die Augen. Am Ende der Ausstellung, von den Architekten sicher bewusst so konzipiert, der befreiende Blick von einer Terrasse auf eine liebliche Hügellandschaft. „Das ist unser happy end nach Jahrhunderten der Verfolgung!“, so ist dieser Aussichtspunkt wohl gemeint. Man versteht den Wunsch, den Anspruch. Man muss aber auch an die Checkpoints von Hebron denken.

Zukunft, jetzt!

Vierter Tag: Ramallah. Das Tel Aviv der Palästinenser. Lebendig, chaotisch, nett. Arafat liegt in seinem Mausoleum, Mahmud Abbas hält sich für unersetzlich, aber die Jungen wollen eine Zukunft, hier und jetzt. Wir treffen junge Palästinenser, die Start-ups gründen. Das Internet kennt keine Checkpoints!? – leider doch. Dinah, 27, berichtet von den Schwierigkeiten, ein palästinensisches Bitcoin-Unternehmen zu gründen, wenn der Geldverkehr über israelische Banken laufen muss. Warum sie nicht zurück will nach London, wo sie studiert hat? Sie will etwas bewegen für ihre Leute. Da ist sie, die Hoffnung, nach der wir bisher vergeblich Ausschau gehalten haben. Viele Palästinenser, vor allem die Jungen, haben jedes Vertrauen in die alten Kämpen von Hamas und Fatah verloren, sagt uns Bastian Schröder von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und die Alten wiederum hätten kein Interesse daran, die Jungen ans Steuer zu lassen.

Warum waren Sie hier?

Am Flughafen Tel Aviv werden einige unserer Rucksäcke sehr genau untersucht. Beamte blättern durch Bücher und Flyer. Eine beklemmende Erfahrung. „Warum waren Sie wirklich hier?“ will eine Beamtin wissen und meint damit, dass es uns um pro-palästinensische Propaganda ging. Nein, darum ging es uns nicht. Aber worum dann? Wir wollten  ein bisschen besser verstehen, was hier geschieht. Ist es uns gelungen? „Man erfährt hier sehr viel über Menschen“, hat uns der ARD-Korrespondent Thorsten Teichmann zum Abschied mitgegeben. Stimmt. Und darüber, wie Menschen ein Land machen. Menschen mit ihren Ängsten und Ansprüchen, mit ihren Egoismen und ihrem schlichten Wunsch a) zu überleben und b) es dabei einigermaßen nett zu haben. Das erfährt man, so viel ist jetzt klar, in Israel, diesem Land zwischen Strand und Checkpoint, besonders eindringlich.

 

Die Reise nach Israel und in die Palästinensergebiete wurde organisiert und begleitet von Anja Koch (Deutsche Welle) und Christina Küfner (Deutsche Welle, Deutschlandfunk Kultur). Finanziell unterstützt wurde sie von SOS-Kinderdorf e.V., TUI, Teva, Studiosus und der israelischen Botschaft in Deutschland.