15 Jahre journalists.network:

Party und Politik zwischen Meer und Wüste

Alumni-Geburtstagsreise nach Tel Aviv und Jerusalem im Oktober 2010

Text und Fotos: Markus Wierz

Flughafen Ben Gurion, 3 Uhr morgens. „What’s the purpose of your visit?“ – „Celebrate.“ Die berufsgrimmige Grenzer-Schönheit ist nicht überzeugt. Sie hat da noch ein paar Fragen. Drei Nächte später wummern Balkan-Beats über das Tote Meer. Auf einer Anhöhe mitten in der Wüste lodert ein munteres Lagerfeuer, brutzelt Deftiges in schweren Eisentöpfen. Bunte Lichter flickern. Nicht alle wollen tanzen, viele schwelgen lieber in Erinnerungen an gemeinsame Reisen nach Südafrika, China oder über den Balkan. Es ist – wie so oft bei journalists.network – keine gewöhnliche Geburtstagsfeier, zu der 30 Alumni im Oktober 2010 nach Israel gereist sind. Dorthin, wo vor 15 Jahren die allererste jn-Reise stattfand.

Seitdem sind hunderte deutsche Journalisten mit journalists.network nach Jerusalem, Tel Aviv, Ramallah und – so lange es möglich war – nach Gaza gefahren. Dutzende israelische Journalisten kamen zum Gegenbesuch nach Deutschland. Das Israel-Palästina-Programm gehört bis heute zu den beliebtesten und erfolgreichsten Reiseangeboten des Vereins. jn-Teilnehmer haben miterlebt, wie im September 2000 die Zweite Intifada begann oder wie im November 2004 der Leichnam Jassir Arafats in der Mukata beweint wurde. Sie haben mit Ex-Generälen, Menschenrechtsaktivisten, Hamas-Funktionären und Siedlern über Krieg und Frieden diskutiert. Immer wieder mussten sich die Entscheidungsträger selbst bohrende Fragen gefallen lassen: von Benjamin Netanjahu bis Avi Primor, von Sari Nusseibeh bis Scheich Jassin. Legendär sind die Begrüßungsworte von Shimon Peres, der journalists.network immer wieder als Gesprächspartner zur Verfügung stand: „So, you are the young journalists? Shoot your questions!“

Geschossen wird auch im Herbst 2010 zum Glück nur mit Worten. Wieder einmal gelten die Fronten als „verhärtet“. Während die Diplomaten über Verhandlungen verhandeln, schaffen Baumaschinen Fakten: Mit dem Bus geht es an die Stadtränder Jerusalems, die Fortlinien dieses Machtkampfs – dorthin, wo trutzige Siedler-Wohnblöcke vernachlässigten palästinensischen Wohnvierteln gegenüberstehen. Mal durchschneidet der berüchtigte Grenzzaun – der hier tatsächlich eine neun Meter hohe Mauer ist – die Landschaft. Mal ist der Übergang von „jüdischem“ zu „arabischem“ Wohngebiet dadurch zu erkennen, dass plötzlich die Bürgersteige aufhören und die Straßenbeleuchtung fehlt.

Nachbarschaft im Schatten der Mauer

DSC_6331Orly Noy von der Organisation „Ir-Amim“ dokumentiert solche architektonischen Provokationen seit Jahren. Sie führt uns an Stellen, wo die Grenzmauer mitten durch muslimische Wohnviertel schneidet; wo die israelische Polizei nicht hilft, wenn arabische Jerusalemer in Not sind; wo die Stadtverwaltung palästinensische Kinder in die Arme islamistischer Lehrer treibt, weil im arabischen Osten der Stadt systematisch Schulplätze fehlen. Wo ein amerikanischer Investor seinen bunkerartigen Häuserblock „View to Zion“ mitten in eine palästinensische Wohnstraße klotzt und palästinensischen Kindern der siedlungseigene Spielplatz strengstens verboten bleibt.

Eine Busstunde weiter westlich ist davon in diesen Tagen wenig zu spüren. Tel Aviv genießt den Spätsommer am Meer. Ein kleiner, drahtiger Mann mit einer Leica um den Hals bahnt uns den Weg zwischen Latte-Macchiato-Trinkern und Power-Shoppern. Drei Stunden lang zeigt uns Alex Levac sein Tel Aviv. Er kennt die Stadt und ihre Geschichten wie kaum ein anderer – und viele Tel Aviver kennen Levac. Er gehört zu den bekanntesten Fotografen Israels. Seine klassischen Porträts und Straßenaufnahmen sorgen seit Jahrzehnten für Gesprächsstoff. Sie haben Levac Preise eingebracht – und jede Menge Ärger.

Die Bauhaus-Schönheit und ihr Fotograf

Einer, der ihn sogar mal verklagt hat, begrüßt ihn an diesem Nachmittag mit Handschlag – ein orthodoxer Jude mit Rauschebart und Schläfenlocken. Als Levac ihn vor Jahren für die Zeitung Haaretz ablichtete, stand er gerade zwischen den nackten Beinen einer nur mit Slip bekleideten Plakatschönheit. Straßenwerbung im hedonistischen Tel Aviv. Der Prozess über den Schnappschuss handelte von Pressefreiheit und religiöser Schande. Über drei Instanzen wurde gestritten. Dann musste Levac mehrere Tausend Euro Entschädigung zahlen. Die Religion hatte wieder einmal gesiegt.

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Ein bisschen wehmütig wird der 66-Jährige dann doch auf unserem Streifzug zwischen Bauhaus-Moderne und britisch-arabischen Gründerzeit-Häusern. Nicht nur, dass der Beton-Brutalismus der sechziger und siebziger Jahre viele Lieblingsplätze seiner Jugend kaputt gemacht hat. Vor allem die lässigen Latte-Trinker in den Cafés und hingebungsvollen Hundebesitzer in den Parks nerven Levac: moderne Israelis, gebildet, linksliberal wie er. Statt sich für Freiheit und Menschenrechte zu engagieren, hätten seine Tel Aviver nichts Besseres zu tun als sich zu amüsieren. Während Jerusalem allmählich in lähmende Shabbat-Ruhe fällt, shoppt Tel Aviv einfach weiter.

Fußball-Träume hinter Stacheldraht

Auf einem Fußball-Platz an der Autobahn Tel Aviv-Jerusalem wirft ein kräftiger Mann mit schlohweißen Haaren lachend Bälle auf den Rasen. Jahrzehnte lang hat sich Alon Liel über israelische Außenpolitik den Kopf zerbrochen – als Botschafter, Diplomat und Regierungsberater über Krieg und Frieden verhandelt. Jetzt engagiert sich der 61-Jährige für eine israelisch-syrische Friedensinitiative. Und er will vor allem hier Siege sehen: auf dem Fußballplatz. Sein Verein Hapoel Abu Gosh-Mevaseret Zion spielt zwar nur in der dritten israelischen Liga. Aber jedes Tor, das seine Männer schießen, ist für ihn ein kleiner Sieg gegen die wachsende Kluft zwischen Juden und Arabern im Land. Bei Hapoel Abu Gosh-Mevaseret Zion kicken Juden und Araber gemeinsam – drei im Vorstand sind Juden, drei Araber.

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„Viele Juden hassen Araber. Wenn unsere Spieler ein Tor schießen, dann fallen sie sich in die Arme wie bei jedem anderen Fußballclub“, sagt Vereinspräsident Liel. „Unser Team ist ein Beispiel dafür, dass das Zusammenleben zwischen Juden und Arabern funktionieren kann.“ Es sind „Fußball-Momente“ wie diese, die Liel darin bestätigen, dass es sich gelohnt hat, 2004 den Verein zu gründen – als ersten seiner Art. Obwohl Liel bis heute keine Nacharmer gefunden hat, obwohl der Verein in der in jüdische und arabische Clubs gespaltenen israelischen Fußballszene als Exot gilt.

Immerhin ist es dem Ex-Diplomaten gelungen, die Mannschaft selbst in Zeiten des Gaza-Krieges zusammen- und die Politik aus der Kabine raus zu halten. Trotzdem treten die Teams im Stadion von Hapoel Abu Gosh-Mevaseret Zion hinter Stacheldraht gegeneinander an. Das Temperament der Fans bleibt unberechenbar. Wenn am westlichen Standrand von Jerusalem der Ball rollt, bleibt die Politik des Nahen Ostens immer im Spiel.

Von Tel Aviv aufs „Journalisten-Tandem“

Mit unter skurrile „Fußball-Momente“ haben auch die Teilnehmer dieser dreitägigen Alumni-Reise immer wieder erlebt. Etwa, wenn wir auf der Dachterrasse unseres Tel Aviver Apartmenthauses mit israelischem Bier und libanesischem Arak auf die gemeinsamen Reisen anstießen. Wenn am Fuße des wilhelminisch-wuchtigen Glockenturms der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg – hoch über Tempelberg und Westjordanland – evangelische Kirchen-Volontäre das Abendbrot reichten und Nahost-Korrespondenten davon berichteten, wie sie am Grenzübergang Gaza gefilzt werden. Oder wenn in der Jerusalemer Altstadt der Tourismus alle politischen und religiösen Konflikte aus dem Weg räumt und Reisegruppen aus Bayern und Brasilien alles an der Rand drängen, was ihnen in die Quere kommt: orthodoxe Juden auf dem Weg zur Klagemauer, griechische Mütterchen auf der Suche nach Jesus, arabische Händler mit Nachschub für den Suq – und natürlich uns.

Während in den engen Gassen Jerusalems alle um ihre Zukunft im Nahen Osten ringen, wählen wir den luftigen Strand von Tel Aviv, um neue Reisepläne zu schmieden. Schließlich lebt der Verein von den Ideen und Projekten, die seine Alumni einbringen. Die oft diskutierte Ruanda-Reise nimmt langsam Formen an. Auch nach Brasilien und auf die Philippinen wollen wir möglichst bald zurückkehren. Bewährte und neue Formate – wie die Hintergrundgespräche und das „Journalisten-Tandem“ – suchen engagierte Mitstreiter. Vor allem aber das Israel-Programm hat Potenzial für mindestens weitere 15 Jahre. Wie wäre jetzt noch ein schnelles Oktober-Bad im Mittelmeer? Und anschließend eine Nachtwanderung durch eine Wüstenschlucht?

Mit Stirnlampen durchs Wadi

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Als der Abend dämmert, werden Stirnlampen ausgeteilt. Zwischen Sand und Geröll lässt ein Quellbach Palmen und Schilf sprießen. Im Schein der Halogen-Kegel folgen wir dem Wasserlauf durch diesen biblischen Abgrund. Ein junger Öko-Aktivist mit schwäbischer Mundart zeigt uns die Schönheiten seiner neuen Heimat – der „judäischen Wüste“, wie er sagt. Vor nicht allzu langer Zeit ist Eitan aus Baden-Württemberg ausgewandert, um die Umwelt im gelobten Land zu schützen und weil Israel eben „spannender ist“. Mehr möchte er dazu nicht sagen. Überhaupt: Wer die Natur des Wadis genießen wolle, der schweige am besten. Ohne Zweifel: Gestritten wird um Orte wie diesen – der mitten im Westjordanland liegt – schließlich schon genug.

Kurz vor 3 Uhr morgens, am Flughafen Ben Gurion, wird dann wieder kritischer nachgefragt: „What was the purpose of your visit?“ Wo sollen wir anfangen? „Celebrate“ war eine gute Antwort.

Das Reiseprogramm wurde organisiert von jn-Finanzvorstand Björn Finke (Süddeutsche Zeitung) und Vereinsgründer Michael Anthony (Allianz).