Der Sieger steht schon fest – und dennoch hat der Kreml Angst

Hintergrundgespräch vor der Wahl in Russland mit Julius v. Freytag-Loringhoven

Ein Wettbewerb, bei dem der Sieger schon feststeht – ist normalerweise eine ziemlich langweilige Angelegenheit. Insofern könnte man angesichts der Wahlen in Russland am 18. März das große Gähnen kriegen, denn dass Präsident Putin seine 4. Amtszeit antreten wird, bezweifelt niemand.

Trotzdem bezeichnet Julius von Freytag-Loringhoven die Abstimmung als „interessant“. Er leitet seit sechs Jahren die Russland-Arbeit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, lebt in Moskau. Im jn-Hintergrundgespräch gab er Einblicke in die politische und gesellschaftliche Stimmung in Russland vor der Wahl.

Er verwies auf die „immerhin“ sieben Gegenkandidaten zu Putin – bei der letzten Wahl waren es drei. Es gebe also eine echte Auswahl für die Wähler. Auch wenn darunter schwache, oder auch vom Kreml erwünschte Kandidaten seien, stünden sie doch für unterschiedliche politische Strömungen. Und mit Xenia Sobtschak, anfangs unterschätzt als It-Girl, gebe es eine klar kreml-kritische Wahloption. Sobtschak ist die Tochter von Putins früherem politischen Ziehvater.

Putins Hauptgegner aber ist Alexej Nawalny, der zahlreiche Massenproteste gegen den Kreml organisiert hat. Er wurde nicht als offizieller Kandidat zugelassen, hat deswegen zum Boykott der Wahl aufgerufen. Julius von Freytag-Loringhoven sieht das kritisch: Es werde ohnehin von einer geringen Wahlbeteiligung ausgegangen – keiner könne im Nachhinein sagen, wie viele Menschen aus Protest, wie viele aus Faulheit nicht gewählt hätten. Zwar fürchte Putin eine niedrige Wahlbeteiligung – dann wäre auch seine Legitimation gering. Aber zur Stärkung der Demokratie sei es besser zu wählen, um die demokratischen Institutionen zu stärken. „Denn wenn der Wandel nicht von denen ausgeht, von wem sonst? Von einem gewaltsamen Umsturz?“

Bei Putin jedenfalls sieht Freytag-Loringhoven keine Reformansätze – obwohl die russische Wirtschaft marode ist, große Teile der Bevölkerung in Armut leben. Im Wahlkampf habe er zwar große Versprechen abgegeben, etwa, dass die Staatsquote in der Wirtschaft sinken müsse. Gleichzeitig habe sich diese in seiner bisherigen Amtszeit aber verdoppelt. Die Bevölkerung scheint ihm die schlechte wirtschaftliche Lage nicht übel zu nehmen. Verbreitet sei der Glaube, so Freytag-Loringhoven, dass an dieser vor allem der Westen und die „bösen Sanktionen“ schuld seien. Auch die Art und Weise, wie im Ausland über Russland berichtet wird – ob mit Blick auf Syrien, den mysteriösen Giftgas-Anschlag gegen einen Ex-Spion in England oder staatlich verordnetes Doping im Sport – werde als Russland-feindliche Propaganda gesehen. Weswegen auch Putins offensive Demonstration militärischer Stärke nach außen, sein Auftreten als geopolitische Macht, gut ankommt.

Eine geringe Langzeit-Strahlkraft attestiert Freytag-Loringhoven den Jugendprotesten in Russland vor einem Jahr, über die auch in deutschen Medien intensiv berichtet wurde. Da habe es im Westen viel „wishful thinking“ gegeben, dass von der Jugend des Landes eine Reformwelle ausgehen könnte. Fakt sei aber, so Freytag-Loringhoven, dass in Umfragen die Zustimmungswerte der 18- bis 30-Jährigen zu Putin ähnlich hoch seien wie die der restlichen Bevölkerung. Und auch wenn es in mehr als 60 Städten Proteste gegeben habe, hätten sich daran jeweils nur einige Tausend Menschen beteiligt.

Trotzdem habe die Regierung jetzt, im Vorfeld der Wahlen, den Repressionsapparat verschärft, es habe viele Verhaftungen gegeben – wahrscheinlich getrieben von der Angst, so Freytag-Loringhoven, Nawalny, der populärste Oppositionelle, könne doch Proteste mobilisieren. Auf offizielle Umfragen könne man zur Einschätzung der Lage nicht bauen, so Freytag-Loringhoven. Zum Einen seien die meisten nicht unabhängig. Hinzu komme eine weit verbreitete Angst in der Bevölkerung, die Meinung zu äußern. Die Naumann-Stiftung hat das in einer eigenen Umfrage gemessen. Auf die Frage: „Wenn Sie eine andere Meinung als die Mehrheitsmeinung vertreten – haben Sie Angst, diese gegenüber Fremden zu äußern?“ hätten 42 Prozent mit Ja geantwortet. Das gesellschaftliche Klima sei von Misstrauen geprägt. Der Druck seitens der Regierung auf potentiell kritische Stimmen und Institutionen sei im Lauf der Jahre massiv gewachsen. Auch die Arbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung sei dadurch schwieriger geworden.