Mit Kenia das Klima retten

Recherchereise nach Kenia im November 2023

Von Philipp Sandner, Gundula Haage

„Kick den Klimawandel raus aus Kenia“ fordert diese Wandmalerei in Nyahururu (Foto: Gundula Haage)

Der Tag, an dem wir in Kenia landen, ist ein Montag. Einen ganz normalen Arbeitstag hatten wir erwartet – aber nicht mit Präsident William Ruto. Der legt Wert auf seinen neuen Ruf als „Klimachampion Afrikas“ und hat den 13. November spontan zum „Tag des Bäumepflanzens“ erklärt. Hundert Millionen Bäume sollen heute in ganz Kenia gepflanzt werden, eine große Aufgabe für die rund 53 Millionen Kenianer:innen. Das Ziel: 15 Milliarden Bäume bis 2032.

Und so geht an diesem Montag erst einmal nichts nach Plan für uns: elf Journalist:innen aus allen Ecken Deutschlands, übernächtigt vom Flug und überwältigt von der tropischen Schwüle in der Hafenstadt Mombasa, Ausgangspunkt unserer zweiwöchigen Recherchereise. Wir wollen den Klimachampion Kenia einmal aus nächster Nähe betrachten: Ein Land, das – so Präsident Ruto – schon jetzt 93 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht, das sich international als Partner im Emissionshandel ins Spiel bringt, das erst vor zwei Monaten zum ersten afrikanischen Klimagipfel geladen hatte.

Ein paar Gesprächspartner:innen haben uns wegen des Feiertags abgesagt. Doch Erzbischof Martin Kivuva Musonde will uns empfangen. Und er hält eine Überraschung bereit: Mit Spaten und Gießkannen ziehen wir in den Garten des Sekretariats der Erzdiözese, wo wir gemeinsam Mangobäume und Avocados pflanzen. Sieben Bäume von 100 Millionen. Tatsächlich hat das Bäumepflanzen in Kenia Tradition. Wangari Maathai, die 2011 gestorbene Friedensnobelpreisträgerin, wurde damit berühmt. Sie wusste: Richtig platziert, schützen Bäume die Quellen und Flüsse vor dem Austrocknen, den Boden vor Erosion und erhalten das Leben im Dorf. Wir starten also mit einer richtigen Kenia-Erfahrung.

Bäumepflanzen mit Bischof Martin in Mombasa (Foto: Gundula Haage)

Auch die folgenden Tage in Mombasa bergen einige Überraschungen: In einem hinduistischen Tempel sprechen wir mit muslimischen, evangelikalen und katholischen Vertreter:innen eines interreligiösen Gesprächskreises, der sich für konfessionsübergreifenden Dialog und in der Lösung von Konflikten einsetzt (Coast Interfaith Council of Clerics, vermittelt durch das Konsortium ZFD). Im Gruppeninterview kommen hier auch schmerzhafte Aussagen einiger Religionsvertreter:innen zur Sprache, etwa mit Bezug zur weitverbreiteten Diskriminierung von LGBTIQ*. Derzeit stehen in Kenia auf homosexuelle Handlungen bis zu 14 Jahre Gefängnis, einzelne Politiker:innen planen, die Gesetze nach dem Vorbild des Nachbarlands Uganda weiter zu verschärfen.

Aus einer ganz anderen Perspektive widmen wir uns diesem Thema wenige Tage später, als wir Engagierte von PEMA („der gute Ort“) besuchen, einer NGO, die sich als Anlaufstelle für queere Menschen in Mombasa versteht. Alle Personen, mit denen wir hier sprechen, haben Ausgrenzung, Diskriminierung und größtenteils auch Gewalt erlebt. Bei PEMA suchen sie explizit den Dialog mit religiösen Führungspersonen, um so die gesellschaftlich weit verbreiteten Vorurteile abzubauen. 

Einen Höhepunkt der Reise stellt der Besuch bei der Umweltaktivistin Phyllis Omido im Kilifi County dar. Die „Mama Moshi“ – „Mutter gegen den Rauch“ – genannte Aktivistin setzt sich seit vielen Jahren erfolgreich gegen umweltschädliche Industrien in Kenia ein. Durch juristische Schritte und Lobbyarbeit gelang es ihr mit ihrem Center for Justice, Governance and Environmental Action, dass inzwischen 17 toxische Industrieanlagen schließen mussten und die Bewohner:innen des Dorfes Owino-Uhuru, die massiv von Bleivergiftungen durch eine Batterie-Schmelzanlage betroffen waren, Entschädigungen erhielten.

Omido, die mittlerweile auch die Vereinten Nationen berät und an einer UN-Resolution zur Bekämpfung unsachgemäßen Recyclings in Afrika mitarbeitete, wurde im Jahr 2023 mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet, dem sogenannten Alternativen Nobelpreis. Während wir sie interviewen, steht eine wichtige politische Entscheidung bevor. „Ruto will Uran nach Kenia bringen, in ein Land, das seine Bevölkerung nicht ernähren kann!“, sagt sie kopfschüttelnd. Ihr derzeitiges Ziel ist es, den Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes zu verhindern.

Gruppenfoto mit der Umweltaktivistin Phyllis Omido (Mitte) und ihrem Team (Foto: Mitarbeitende des CJGEA)

Interessante Einblicke erhalten wir auch während einer Tour durch den größten Hafen Ostafrikas, den wir nur dank des langwierigen Einsatzes unseres Stringers, des kenianischen Medienschaffenden Justus Mwakideu, betreten dürfen: „Unser Container-Terminal ist das Herz von Kenia“, sagt Soud Kajembe von der Kenya Port Authoritiy, während wir staunend durch gewaltige Containerschluchten wandern und dabei einiges über die Politik von Frachtgut erfahren.

Mit diesen Eindrücken im Gepäck lassen wir Mombasa und die kenianische Küste hinter uns. Ein moderner Dieselzug, der SGR, bringt uns ins Landesinnere nach Nairobi – auf einer Hochtrasse, aufgebaut mit chinesischen Milliarden. Doch die Fortschrittserzählung hakt: Die Schuldenlast Kenias ist erdrückend, gerade hat Ruto neue Steuern eingeführt. Auch die Ticketpreise sollen im Januar um die Hälfte angehoben werden – zum Ärger der mitreisenden Schulklassen und Familien. Dafür gibt es die Giraffen und Elefanten gratis zu sehen. Für uns Deutsche eine echte Überraschung: Pünktlich um 20.18 Uhr fährt der Zug im Bahnhof ein.

In Nairobi lernen wir eine klimafreundliche Variante der Boda-Bodas kennen. Diese Motorradtaxen sind in der kenianischen Hauptstadt allgegenwärtig und schlängeln sich zuverlässig selbst durch den dichtesten Verkehr. Felix Saro-Wiwa vom Start-up ARC Ride erklärt uns, wie seine elektrischen Bikes dank über die ganze Stadt verteilter Batterietauschstellen den Transportsektor nachhaltiger machen sollen. In Mombasa hatten wir zuvor bereits in elektrisch betriebenen Tuktuks probefahren dürfen, in denen selbst der britische König Charles bei seinem Keniabesuch wenige Wochen zuvor posierte.

Zur Halbzeit der Recherchereise geht es weiter ins Rift Valley. Der Ostafrikanische Grabenbruch verspricht jede Menge Afrika-Klischee. Hier wurden die weiten Schluchten für den Disney-Klassiker „König der Löwen“ abgepaust. Und die vulkanischen Aktivitäten haben noch ein Gutes: Das Magma heizt das Grundwasser auf, das als Dampf an die Oberfläche tritt – perfekte Voraussetzung für Erdwärme. In Olkaria befindet sich Afrikas größtes Geothermie-Kraftwerk.

David Ehl im Interview mit der KenGen-Geophysikerin Anna Mwangi (Foto: Gundula Haage)
Sicherheit geht vor: Auf Recherche beim Geothermiekraftwerk Olkaria (Foto: KenGen)

Aus 322 Bohrlöchern werden die Turbinen gleich mehrerer Kraftwerke angetrieben. Auch Gelder der deutschen Förderbank KfW und deutsches Knowhow sind hier verbaut. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Mai vorbeigeschaut, zeigte sich beeindruckt von 985 Megawatt installierter Kapazität für Geothermie in Kenia. Scholz hatte 20 Minuten. Wir nehmen uns mehrere Stunden. Und erfahren auch etwas über die Schattenseiten des Großprojekts: In Olkaria wurden mehrere Maasai-Dörfer umgesiedelt, unser Journalist:innenreflex wittert den Skandal. Im Gespräch mit Bewohner:innen der neu geschaffenen Dörfer, genannt RAPlands, hören wir von den Vor- und Nachteilen der Umsiedlung. Am Ende, so scheint es, haben sich die Menschen mit der Situation in den Dörfern, die jetzt auch Strom haben, arrangiert. Worauf sie Jahre nach der Umsiedlung noch warten, ist eine Beteiligung an den Gewinnen aus der Stromerzeugung. Versprechen wollte ihnen das bisher niemand. Immerhin wird darüber verhandelt.

Erneuerbare Energien sind für Kenia eine feine Sache: Erdwärme, Sonne, Wind gibt es hier im Überfluss. Nur mit dem Wasser ist das nicht so einfach, das wird immer unberechenbarer – der Klimawandel ist ganz real spürbar. Auf dem Weg nach Mbooni im Makueni County, in eine sonst eher trockene Gegend, ist eine Furt fast unpassierbar. Hier treffen wir Menschen, die eine besondere Technik entwickelt haben, um mit Extremwettersituationen zurechtzukommen. Entlang eines Flusslaufs haben sie mit Unterstützung der deutschen Hilfsorganisation arche noVa mehrere Sanddämme errichtet. Die halten bei Trockenheit das Wasser in der Erde und verhindern, dass der Boden bei Regen weggeschwemmt wird. Das ausgeklügelte System sorgt dafür, dass sie das ganze Jahr über anbauen können. Statt unsicherer Lohnarbeit hoffen viele jetzt, von der Landwirtschaft leben zu können.

Sanddamm-Pionier Andrew Musila (Africa Sand Dam Foundation) hört unseren Reiseberichten interessiert zu. Aber Ruto, der Baumfreund? Das kann Musila nicht so recht glauben. Immerhin hat der Präsident erst im Juni ein sechs Jahre geltendes Abholzungsverbot aufgehoben, aus offenbar wirtschaftlichen Erwägungen. Und nachhaltige Aufforstung braucht System und langfristige Betreuung. Wie das gelingen kann, muss sich laut Musila erst zeigen.

Trotz Regen zum Interview bereit: Mitglieder der Mulangu Self-Help Group erklären uns, wie die Sanddämme in Machakos funktionieren (Foto: David Ehl)

Die Folgen des Klimawandels erleben wir auch andernorts: In einem von der Welthungerhilfe geförderten Landwirtschaftsprojekt in Kajiado County bauen Farmkooperativen mittlerweile Wassermelonen an. Die dortigen Maasai-Communities lebten zuvor maßgeblich von der Viehweidewirtschaft – doch nach mehreren Dürrejahren in Folge sind die Tierbestände stark geschrumpft und alternative Einkommen werden dringend benötigt. Im Agrar-Ausbildungszentrum Latia Agribusiness Solutions werden darum Jugendliche aus ganz Kenia in innovativen Landwirtschaftsmethoden ausgebildet, um auf die veränderten Bedingungen besser reagieren zu können.

Einen besonders unkonventionellen Weg, um auf Mangelernährung als Folge von schlechten Ernten reagieren zu können, lernen wir bei Icipe kennen, dem International Centre of Insect Physiology and Ecology. Hier wird zum Potential von Insekten bei der Ernährungssicherung, nachhaltigerer Fleisch- und Düngemittelproduktion geforscht. Eine Kostprobe für uns Journalist:innen gab es natürlich auch – allgemeiner Favorit waren die panierten Heuschrecken.

Chrysantus Mbi Tanga, wissenschaftlicher Leiter bei Icipe, zeigt uns eine Aufzuchtbox mit Larven der Schwarzen Soldatenfliege (Foto: Christoph Paul Hartmann)

Nicht nur die Folgen des Klimawandels machen vielen Menschen in Kenia zu schaffen, auch ungelöste Landkonflikte, die zum Teil noch in der Kolonialzeit wurzeln, tun ihr übriges. Das erleben wir bei einem Besuch im Dorf Ng’elesha im Laikipia County: Hier kommt es immer wieder zu gewaltvollen Überfällen entlang von ethnischen Konfliktlinien. Es geht um den Zugang zu Land, um Viehraub und Waffen, die auf dubiosen Wegen in Umlauf kommen. Unterstützt von der Diakonie Katastrophenhilfe hat die kenianische Organisation Anglican Development Services (ADS) hier sogenannte Peace Committees ins Leben gerufen, bei denen die Menschen vor Ort direkt miteinander ins Gespräch kommen, um Konflikte zu deeskalieren. Im Rahmen von Disaster Risk Management Committees wird zudem über Wasserprobleme, Land und Weideflächen sowie Katastrophenschutz beraten.

Über die zugrundeliegenden Ursachen für all diese Konflikte sprechen wir im Lauf der Reise mit einigen Expert:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, darunter mit dem Ökonom James Shikwati, Florence Gichoya von der Access Coalition, Gitungo Wamere vom Mzalendo Trust, David Sturmes von der Fair Cobalt Alliance, dem Ökonom Ken Gichinga, dem politischen Risikoanalyst Dismas Mokua und Irũngũ Houghton, dem Direktor von Amnesty International in Kenia. 

Für die kenianische Bevölkerung geht es nicht in erster Linie darum, die Erderwärmung zu begrenzen, sondern sich an die Folgen eines veränderten Klimas anzupassen, erklärt uns gegen Ende der Reise Mithika Mwenda, der uns in seinem Büro in Nairobi empfängt. Mit seiner panafrikanischen Allianz für Klimagerechtigkeit, PACJA, kämpft er um Gehör für diese Anliegen. Es ist die Woche vor dem Klimagipfel in Dubai: Zwischen Telefonaten und letzten Vorbereitungen bleibt uns eine halbe Stunde fürs Gespräch. Doch Mwenda ist voll bei uns, bietet Tee an, postet nachher mehrere Bilder beim Kurznachrichtendienst X.

Am Ende unserer Reise haben wir rund 1 800 Kilometer Strecke quer durch Kenia zurückgelegt – zum Großteil im Minibus. Doch wo taucht der Diesel bei Präsident Ruto auf? Nicht bei den 93 Prozent Erneuerbaren und ohnehin nicht im nationalen Stromnetz. Auch die vielen Menschen, die mit Holzkohle kochen, treiben den Anteil der Erneuerbaren am Brutto-Energieverbrauch nicht gerade in die Höhe. Die Gesamtbilanz dürfte also deutlich schlechter sein.

Die Reise wurde organisiert von David Ehl (freier Journalist, DW und Dlf), Anne Waak (freie Journalistin und Autorin) und Philipp Sandner (freier Journalist, DW). Sie fand in Kooperation mit dem Konsortium ZFD mit Mitteln des BMZ statt und wurde finanziell unterstützt von der Welthungerhilfe, der Diakonie Katastrophenhilfe, Brot für die Welt, der Arche NoVa und der Andreas Stihl AG & Co. KG. 

Eine kürzere Version dieses Reiseberichts von Philipp Sandner erschien am 12.12.2023 in der Rotenburger Kreiszeitung.