Folterzellen, ein Tempeldoktor im Blaumann und die beste Pizza östlich von Italien
Recherchereise nach Thailand und Kambodscha im Mai/Juni 2018
Text und Fotos: Fabian Vögtle
„Wir können den Zerfall nicht stoppen, nur verlangsamen“, sagt Hans Leisen. Zusammen mit seiner Frau Esther von Plehwe-Leisen kämpft er seit mehr als 20 Jahren für den Erhalt des größten Schatzes von Kambodscha. Zwar ist der Professor der Technischen Hochschule Köln schon seit einigen Jahren pensioniert. Trotzdem steht er an diesem Tag – wie mehrere Monate im Jahr – im Blaumann auf einem Baugerüst über der rund 1000 Jahre alten Tempelstadt von Angkor. Während ein Monsungewitter losbricht, erklärt Leisen uns, wie sein Team die Reliefs und andere Gebäudeteile des Haupttempels Angkor Wat restauriert und konserviert. Zum Einsatz kommen Kieselsäureester, Gips, Sand, Mörtelinjektionen – und Zahnbürsten.
Für ihr Engagement wurde das Ehepaar 2016 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet. In Kambodscha haben sie bereits mehr als 30 Restauratorinnen und Restauratoren ausgebildet, in den kommenden Jahren wollen sie das Projekt an die einheimischen Behörden übergeben. „Das ist unser Hauptziel“, sagt er.
Von der Touristenhochburg Siem Reap, die vor den Toren der Tempelanlage liegt, geht unsere Recherchereise durch Kambodscha weiter nach Phnom Penh. Wie das ganze Land hat die Hauptstadt eine düstere Vergangenheit: Während ihrer Schreckensherrschaft von 1975 bis 1979 ermordeten die kommunistischen Roten Khmer geschätzt bis zu 30 Prozent der Bevölkerung. Die „Organisation“ (Angkar) unter ihrem Anführer Pol Pot siedelte Millionen um und entleerte dabei die komplette Hauptstadt; sie inhaftierte, folterte und tötete alle Landsleute, die nicht in ihre Vorstellung des erträumten Bauernstaates passten – oder die sie in ihrer Paranoia für Agenten ausländischer Geheimdienste hielt.
Wir besuchen die Stätten des Terrors. Eine Grundschule mitten in Phnom Penh funktionierten die Khmer Rouge zum berüchtigten Foltergefängnis Toul Sleng um. Wir sehen den Stacheldraht, die winzigen Zellen aus rohem Holz oder Backsteinen, verstörende Fotografien der Verhafteten, Gemälde mit Folterszenen, die ein Überlebender angefertigt hat. Von Tuol Sleng wurden mehr als 20.000 Gefangene nach Choeung Ek vor die Tore der
Stadt gebracht. Auf diesem bekanntesten der rund 300 sogenannten Killing Fields wurden sie hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. In einem zum Gedenken errichteten Stupa sind zig Gebeine der Opfer übereinander gestapelt. Viele der Schädel sind eingeschlagen.
„Es ist furchtbar, sich an diese Zeit zu erinnern. Aber wir können es nicht vergessen, selbst wenn wir wollten“, sagt Youk Chhang. Als Jugendlicher verlor er fast seine ganze Familie, außer ihm überlebte nur seine Mutter. Mit dem von ihm gegründeten und geleiteten Documentation Center of Cambodia (DC Cam) bemüht sich Chhang seit Jahren um die Aufarbeitung der Schreckensjahre – und um Versöhnung. Neben einem Fortbildungszentrum für Lehrerinnen und Lehrer rief er auch eine Kunstgalerie ins Leben. Dort erklärt uns Koordinator Seang Chenda, wie die Erinnerung an das Regime mit moderner Kunst und Architektur wachgehalten und gleichsam verarbeitet werden soll.
DC Cam hat über eine Million Dokumente, Fotografien sowie Aussagen von Überlebenden gesammelt. Dieser Datenberg bildete die Grundlage für die Anklagen des Rote-Khmer-Tribunals, das sich auf dem Gelände des Hauptquartiers der Armee befindet. Wir bekommen eine Führung durch den Gerichtssaal. Nach Vorbild der Internationalen Strafgerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda und unter Beteiligung der UN werden hier die Verbrechen der Roten Khmer untersucht. Seit 2007 wurden einige wenige Funktionäre verurteilt, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ob die gerichtliche Aufarbeitung weitergeht, ist zu bezweifeln: Die Angeklagten sind alle hochbetagt, und in der heutigen
Führung des Landes lässt der politische Wille nach.
Auch 40 Jahre nach dem Genozid ist der Rechtsstaat in Kambodscha äußerst schwach, wie uns in Gesprächen mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und Journalistinnen deutlich wird. Seit mehr als 30 Jahren an der Macht, hat Ministerpräsident Hun Sen vor den im Juli 2018 anstehenden Parlamentswahlen nicht nur die größte Oppositionspartei auflösen lassen. Auch gegen Medien und ausländische Organisationen geht seine Regierung immer rigoroser vor. Meinungs- und Pressefreiheit sind stark gefährdet, wenn man überhaupt noch davon sprechen kann.
Ganz so schlimm steht es um das benachbarte Thailand noch nicht. Während unseres dreitägigen Aufenthalts in der Hauptstadt Bangkok wird uns allerdings auch dort die Macht undemokratischer Kräfte deutlich bewusst. Auch vier Jahre nach dem Putsch sitzen die Vertreter des Militärs an den Schaltstellen der Macht; der einstige Oberkommandierende Prayut Chan-ocha ist heute formell Ministerpräsident. Die für 2018 anstehende Parlamentswahl wurden kürzlich auf 2019 verschoben.
Die Journalistin Chiranuch Premchaiporn von Prachatai, einem als Verein organisierten und unabhängigen Online-Medium, erzählt von den Kontrollmethoden des Ministry of Digital Economy and Society, dem früheren Informationsministerium. Es setze sogenannte Cyber-Scouts ein. Deren Aufgabe: im Internet nach Kritikern der Generäle oder des Königs zu suchen. Immer wieder nimmt die Regierung daraufhin Verhaftungen vor.
Bei dem Termin ist auch Manfred Hornung dabei, Leiter des Südostasien-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, die Prachathai als Partner unterstützt. Er gibt uns einen Einblick in die Stiftungsarbeit. Zu einem Abendessen treffen wir Korrespondentinnen und Korrespondenten, die in Bangkok
für deutsche und internationale Medien arbeiten. Sie berichten von zunehmendem Misstrauen, das ihnen von Regierungsseite entgegenschlägt. Auch Umesh Pandey hat dazu einiges zu berichten: Bis vor kurzem war er Chefredakteur von Thailands wichtigster Tageszeitung Bangkok Post. Beim Lunch im Foreign Correspondent Club erzählt er uns etwa von Drohanrufen, die ihn nach regierungskritischen Veröffentlichungen erreichten. Erst eine Woche vor unserem Treffen wurde er gefeuert, aus politischen Gründen, ist er sich sicher.
Nun strebt der renommierte Wirtschaftsjournalist eine Karriere in der Finanzwelt an. Eine rege Diskussion – auch, aber nicht nur über die Meinungs- und Pressefreiheit im Land – führen wir mit dem Politikwissenschaftler Pitch Pongsawat von der Chulalongkorn-Universität. Weitere Einschätzungen der Lage in Thailand und interessante Einblicke in die Arbeit von Diplomaten erhalten wir bei einem Besuch der Deutschen Botschaft.
Neben vielen eher ernüchternden Begegnungen treffen wir in Bangkok aber auch Kräfte, die mit Hoffnung in die Zukunft schauen. Die frisch gegründete Oppositionspartei Future Forward möchte nach eigenem Bekunden die Demokratie in Thailand wiederherstellen. „Demokratie heißt: Demokratie ohne Militär“, sagt Kunthida Rungruengkiat, Lehrerin von Beruf und bei Future Forward zuständig für Bildungspolitik. Pressesprecherin Pannika Wannich sekundiert: „Wir sind bereit, für die Menschen in unserem Land zu kämpfen.“ Wie viele andere meist junge Menschen sind die beiden dem Ruf des charismatischen Parteigründers Thanathorn Jungrungreangkit gefolgt. Unter teils hohem Einsatz: Für ihr politisches Engagement hat Pannika ihren Job als Fernsehjournalistin aufgegeben.
Neben vielen Einblicken in die Politik Thailands haben wir auch eine Vorstellung davon erhalten, wie Landwirtschaft hier funktioniert: Wir besuchten eine Fischfarm, die Barramundi für den Export züchtet, und einen Hof, wo Hunderte Wasserbüffel für die Milchwirtschaft gehalten werden. Wer hätte gedacht, dass wir auf einem thailändischen Bauernhof die beste Pizza östlich Italiens bekommen würden – einem Steinofen und
frischem Büffelmozzarella sei Dank? Überhaupt wurden wir kulinarisch bestens versorgt, was bei einer Reise nach Südostasien auch nicht anders zu erwarten war. Nur auf einem kambodschanischen Markt, wo Verkäuferinnen geröstete Insekten und Vogelspinnen anboten, trauten sich dann doch nicht alle.
Die Reise nach Thailand und Kambodscha wurde organisiert von Verena Hölzl (freie Journalistin, Yangon), Nina Belz (Neue Zürcher Zeitung) und Georg Fahrion (Capital). Verena und Georg begleiteten die Gruppe. Die Recherchereise wurde unterstützt von der Bosch-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Reiseveranstalter Tourasia und der DKSH Holding AG. Wir danken allen Sponsoren herzlich für ihre Unterstützung!