Atemlos in Indien: Unterwegs im Land der ungeahnten Möglichkeiten

Recherchereise nach Indien im November/Dezember 2011

Text: Jürgen Webermann

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Foto: Thomas Reintjes

Selig lächelnd sitzt Sri Sri Ravi Shankar auf seinem thronähnlichen Sessel. Der kleine Mann in weißem Gewand und mit langem, schwarzen Bart hat sich Zeit für uns genommen, geduldig lässt er sich fotografieren, und auch die kleinen Mikrofone stören ihn nicht. Wie auch? Sri Sri steht über den Dingen, er ist ein Guru. Und in seinem Audienzsaal, einem kreisrunden Gebäude, seinem Status entsprechend auf einem Hügel gebaut, versprüht Ravi Shankar seine ganz eigene Aura. Jede noch so kritische Frage, etwa nach den enormen Geldquellen für seinen Ashram und seine „Art of Living Foundation“ lächelt er einfach weg. Und wer nach dieser halben Stunde noch an Sri Sri zweifelt, ist spätestens danach verzückt – die schlauen Helfer des Guru haben medienwirksam zwei Elefanten vor dem Eingang des Saals platziert, die jetzt mit Bananen gefüttert werden können.

Als ob Indien nicht schon farbenfroh, verrückt, hektisch, anders genug ist. Nach mehr als einer Woche voll mit Hintergrundgesprächen, Treffen mit Managern, Autofahrten durchs nächtliche Rajasthan, Diskussionen mit 60 Landwirten, Mittagessen mit IT-Experten, Interviews mit Autobauern sowie Bankanalysten, verschiedenen Magenproblemen (die berüchtigten „Delhi-Bellies“) und wenig Schlaf bietet der „field trip“ in den Ashram von Sri Sri Ravi Shankar in der Nähe von Bangalore noch einmal ganz andere Eindrücke.

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Foto: Jürgen Webermann

Und neue Fragen tauchen auf: Wieso lassen sich erfolgreiche Investmentbanker, die in New York gearbeitet haben, von einem südindischen Guru so vereinnahmen, dass sie alles stehen und liegen lassen, um als Pressesprecher von Sri Sri zu arbeiten?

Indien war zumindest auf dieser Reise bis dahin vor allem „hard stuff“: Wie können arme Menschen gesundheitsversichert werden? Funktioniert so ein System überhaupt? Welche Form der Landwirtschaft bringt den Ertrag, der zur sinnvollen Ernährung von mehr als einer Milliarde Menschen nötig ist? Schaffen es deutsche Autokonzerne wirklich, Fuß zu fassen auf dem indischen Markt? Delhi, Udaipur, Mumbai, Pune und Bangalore – fünf Stationen in zehn Tagen, das war ein durchaus ambitionierter Plan, zumal in einem Land wie Indien. Hat aber funktioniert. Jörg Hackhausen hat‘s für handelsblatt.de detailliert aufgeschrieben.

Wer also wie wir „atemlos“ durch den Smog von Delhi und durch andere Boom-Towns in Indien tourte, hatte zumindest im Ashram bei Bangalore die Gelegenheit, wieder Luft zu holen – während einer öffentlichen Atemmeditation mit dem Guru selbst und mehr als tausend Anhängern – per Internet weltweit live übertragen. Die Grundidee dieser Meditation hatten auch wir schnell verstanden: Nach bis dahin neun Tagen Indien mit kleinen Verwirrungen, verlorenen Koffern und verlegten Reisepässen, platten Reifen und rasanten Fahrten mit den wunderbaren grün-gelben Tuk Tuks gab Sri Sri jedenfalls den ultimativen Verhaltenstipp für jede Indien-Recherche: „Take a deep breath – and relax…“

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Foto: Thomas Reintjes

Organisiert wurde die Recherchereise nach Indien von Martina Merten (freie Journalistin, Berlin), Michael Anthony (Gründer von journalists.network) und Jürgen Webermann (NDR Info). Wir danken ganz herzlich für die Unterstützung durch die Robert-Bosch-Stiftung sowie durch SAP, Volkswagen und BMW.