Halbzeitbilanz der Regierung Kirchner

Recherchereise nach Argentinien im Februar 2005

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Unterwegs mit den Cartoneros: Die Obdachlosen von Buenos Aires leben von dem Verkauf von Altpapier und Werkstoffen.

Vom 11. bis 20. Februar 2005 besuchte eine 12-köpfige Gruppe von jungen Journalisten auf Einladung von journalist.networks die argentinische Hauptstadt Buenos Aires sowie die Provinzhauptstadt Córdoba im Nordwesten des Landes. Die Reise war die zweite im Rahmen unseres Lateinamerika-Programms, das seinen Auftakt 2003 mit einer Reise nach Brasilien hatte. Ziel der Argentinien-Reise war es, eine Halbzeitbilanz der Regierung Kirchner zu ziehen und zu recherchieren, welche Folgen die Wirtschaftkrise und der aus ihr resultierende Regierungswechsel hat.

Dazu sprachen wir mit verschiedenen Vertretern des politischen Spektrums in Argentinien: mit dem Fraktionsvorsitzenden der regierenden Peronisten Humberto Roggero, der glaubt, dass Kirchner der rechte Mann am rechten Ort ist. Mit Estela Carloto, dem Vorsitzenden der „Vereinigung der Großmütter der Plaza de Mayo“, die sich für die Aufarbeitung der Verbrechen während der Militärdiktatur stark macht, und in Kirchner einen Hoffnungsträger sieht. Und mit dem politischen Analysten Rosendo Fraga, der Kirchners Erfolg als bloßes Ergebnis glücklicher Umstände sieht.

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Vorfreude auf die WM 2006 in Deutschland: Argentiniens Fußballer gehören derzeit zu den besten der Welt.

Wir interviewten den Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, der versucht, eine lateinamerikanische Front gegen die Globalisierung zu formieren, und den neoliberalen Oppositionspolitiker López Murphy, der glaubt, die völlige Öffnung der Märkte werde Argentiniens Wirtschaft sanieren. Wir trafen Abgeordnete der Cartoneros, die wir einen Abend lang auf ihrer Suche nach Altpapier und Werkstoffen begleiteten, und Vertreter einer Kooperative, die für den jungen Star-Modemacher Martín Churba arbeitet und so einen Weg aus der Armut gefunden hat.

Ein Besuch in dem ehemaligen Folterzentrum ESMA in Begleitung von ehemaligen politischen Häftlingen der Militärs war ein bewegender Höhepunkt der Reise. Carlos Bilardo, ehemaliger Fußballnationaltrainer Argentiniens und Weltmeister von 1986, berichtete von Erfolgen und Niederlagen und der Lage des argentinischen Nationalsports vor der WM 2006 in Deutschland.

Mit deutschen Korrespondenten, die vor Ort arbeiten, haben wir die Recherche-Ergebnisse abgeglichen und Erfahrungen ausgetauscht. Ein Besuch in einem großen VW-Werk in Córdoba und ein Abend mit Viktor Klima, Präsident von Volkswagen Argentinien und ehemaliger Bundeskanzler von Österreich, gaben Aufschluss darüber, warum es Sinn machen kann, antizyklisch in Krisenländern zu investieren.

Das Programm der Reise war dicht gedrängt, doch wurden intensive und produktive Nachmittage in Konferenzräumen ergänzt durch die lauen Sommerabende in Buenos Aires und lange Nächte in Straßencafés und Bars. Die Unterbringung in kleinen Appartements statt im Hotel hat sich bewährt. Wenn es auch nur für wenige Tage war, so fühlten wir uns in der Stadt doch nicht nur zu Gast sondern ganz kurz einmal zu Hause. Vor allem aber haben wir das getan, was unseren Beruf zu einem der schönsten macht: viel gearbeitet, viel erlebt und dabei viel, viel Spaß gehabt.