Raki, Rock, Redaktionelles

13 Jahre journalists.network: Alumni-Treffen in Istanbul im Juni 2008

Text: Christian Thiele

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Über uns die Sterne. Unter uns der Fluss. In uns ein paar mehr oder ein paar wenige Gläser Raki. Um uns herum das Funkeln tausender Lichter, von illegalen, halblegalen und vielleicht mitunter sogar legalen Bauten. Vor uns eine lange Nacht: Nein, eine abendliche Bootspartie auf dem Bosporus ist nicht unbedingt der falscheste Ort für ein standesgemäßes journalists.network-Event. So geschehen Mitte Juni 2008 in Istanbul.

Istanbul ist in diesen Tagen eine merkwürdige Stadt: In manchen Vierteln ist der Ausschank von Alkohol verboten, andere werden von den Reiseführern als die hippsten, wildesten und durchgeknalltesten „places to be“ auf dem ganzen Planeten angepriesen.

Die Türkei ist in diesen Tagen, im Sommer 2008, ein merkwürdiges Land: Jene Partei, deren Vertreter die Bevölkerung an die Spitze der Rathäuser im ganzen Land und mit überwältigenden Mehrheiten ins Parlament gewählt hat, muss darum bibbern, ob sie nicht vom Verfassungsgericht für illegal erklärt wird. Linke Feministinnen gehen dafür auf die Straße, dass Muslimas in der Öffentlichkeit Kopftuch tragen dürfen – und gläubige Geschlechtsgenossinnen protestieren dagegen. Kurzum: Wohin sonst als nach Istanbul sollte journalists.network fahren, um ein spannendes, schräges und, ja: auch lustiges Wochenende unter Freunden und Kollegen zu verbringen?

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„Weimarer Verhältnisse“, sagt achselzuckend Murat Belge über sein Land. Belge ist einer, bei dem sich j.n-ler wohlfühlen müssen: Ein weltgewandter, gebildeter, politisch interessierter, laizistischer Zyniker, ein bekannter türkisch-westöstlich-europäischer Intellektueller, einer der bekanntesten Kommentatoren im Land. Wenn einer wie Belge erzählt, fällt die Entscheidung schwer: Im üppigen Frühstücks-Buffet des „Hotel Anemon“ schwelgen? Den Blick aus dem Fenster schweifen lassen über die Attraktionen dieser Stadt? Oder eben den Anekdoten und Analysen Murat Belges lauschen? Entscheiden mussten wir uns nicht wirklich. Denn Belge war auch der, der uns als Stadtführer im Bus Schneisen schlug durch das Istanbul von heute, das Konstantinopel von gestern und das Byzantion von vorgestern. Die Moscheen und Türme, die Buchten und Brücken – Belge weiß zu all dem was.

Nachmittag zur freien Verfügung: Postkarten-Istanbul, heißt das für die einen. Auf zur nächsten Teestube, für die anderen. Schließlich gilt es, eine lange Nacht zu verarbeiten: Hatte doch am Vorabend die Türkei Kroatien aus der Fußball-EM gekickt – per Elfmeterschießen, in einer Zitterpartie, von der das versammelte Istanbul erst mal einen Moment des Verschnaufens benötigte, um schließlich in einer Feierorgie am zentralen Taksim-Platz zu explodieren. Wir als offizielle jn-Delegation begleiteten die Feierlichkeiten aus nächster Nähe als Beobachter, Mittrinker, Fahnenschwenker.

Nun soll hier nicht der Eindruck entstehen, journalists.network habe in Istanbul nur gefeiert, SBK_2614getrunken und getanzt. Gewiss, dies kam vor, auf dem Bosporus, in den Seitenstraßen der Istiklal Caddesi, in größeren und kleineren Clubs und Diskotheken, im größeren Schwarm und in kleineren Gruppen. Es wurden untereinander und mit Dritten alte Freundschaften vertieft und neue geschlossen, manche für immer, manche für eine Nacht, manche für noch kürzer.

Daneben aber wurden, wie könnte es unter Journalisten anders sein, Karrieren verglichen, Stellenangebote und Klatsch ausgetauscht. Erinnerungen an alte jn-Reisen wiederbelebt. Und, vor allem, Pläne für neue geschmiedet. Denn eins ist ja klar: Nach der jn-Reise ist vor der jn-Reise.

Das Alumni-Treffen in Istanbul wurde organisiert von Cem Sey und Adrienne Woltersdorf.