„Respekt, Würde, Demut gehören zu jeder Recherche“

Hintergrundgespräch mit Korrespondentin Sandra Petersmann im Oktober 2017

Text: Max Kuball

„Ich habe mich in keinem Land bisher journalistisch-ethisch so schwergetan wie in Somalia – nicht in Afghanistan, nicht in Pakistan.“ Dieser Satz von Sandra Petersmann, gefallen in den ersten Minuten des jn-Hintergrundgesprächs, umreisst sowohl die Themen als auch den Ton des Abends sehr gut: Über zwei Stunden nahm sich die frühere ARD-Korrespondentin Zeit, um einer großen Runde Interessierter von ihren Erfahrungen zu berichten. Und sie begann mit den jüngsten Eindrücken, die sie von einer Reise nach Somalia mitgebracht hat: Von der prekären Sicherheitslage in Mogadischu über die Zustände in den dortigen Flüchtlingslagern bis zu den Anstrengungen der Vereinten Nationen und vieler Hilfsorganisationen, den bald 25 Jahre dauernden Bürgerkrieg sowie den Terror der al-Shabaab endlich zu beenden.

Nach Somalia war Petersmann für die Deutsche Welle gereist, für die sie nach ihrer Rückkehr aus Neu Delhi im Dezember 2016 wieder arbeitet. Davor hatte sie fünf Jahre lang als Hörfunk-Korrespondentin der ARD aus und über Indien, Bangladesch, Bhutan, Nepal, Sri Lanka, die Malediven und Pakistan berichtet – sowie immer wieder über Afghanistan. Denn vor allem an Afghanistan hängt ihr Herz, seit sie das Land 1993 zum ersten Mal bereiste – mit gerade einmal 19 Jahren eine prägende Erfahrung: „Es war diese Reise, die mich zum Auslands-Journalismus gebracht hat“, so Petersmann.

Auch die Fragen der Teilnehmer drehten sich im Wesentlichen um das Land am Hindukusch: Von der jüngsten Fluchtwelle, die viele junge Afghanen nach Deutschland gebracht hat, über die Frage nach den aktuellen Abschiebungen bis hin zur verpassten Gelegenheit einer Einbindung der Taliban. Und: Wie recherchiert es sich als Frau in Afghanistan? „Ich habe es einfacher als männliche Kollegen: Ich kann nicht nur mit 50, sondern mit 100 Prozent der Bevölkerung sprechen“ Wie gewinnt man als westliche Journalistin das Vertrauen der Menschen? Fotos zeigen funktioniert sehr gut – erfordert aber kulturelles Wissen: „Zeig nie einem Afghanen einen Hund. Wenn Du aber ein Bild von verwandten Kindern oder Eltern zeigst – das bricht sofort das Eis!“ Und wie geht es ihr mit der örtlichen Kleidung? „Die Burka schützt mich – solange ich sitze.“ Denn der Gang afghanischer Frauen sei ganz anders, da viele hohe Stöckelschuhe unter der Burka trügen – die Journalistin auf Recherche dagegen nicht.

Neben den Fragen zu Land, Leuten und den Recherchebedingungen kamen während des Gesprächs auch immer wieder ethische Fragen und Probleme auf den Tisch. Etwa, wenn sie wie in Somalia nur in Begleitung bewaffneter Personenschützer recherchieren kann – und diese somit auch ins Flüchtlingslager mitkommen. „Damit bringe ich Menschen, die vor Waffen geflohen sind, also erneut in die Nähe von Waffen.“ Oder sie erzählt, dass sie für Interviews grundsätzlich nie etwas bezahlt – auch Hungernden nicht. Aber dass ihr das Schicksal der Menschen natürlich trotzdem nahe gehe und sie daher im Anschluss versucht, den Menschen zu helfen – etwa mit mitgebrachten Grundnahrungsmitteln. Gefragt nach ihrem Umgang mit dem immensen Wohlstandsgefälle zwischen ihr und den Menschen, über die sie berichtet, sagt sie daher: „Respekt, Würde, Demut sind drei Sachen, die zu jeder journalistischen Recherche gehören.“

Nun also hat sie die ganz direkte Zuständigkeit für Afghanistan erstmal hinter sich gelassen – und gibt zu, wie schwer ihr das fällt: „Den Twitter-Hashtag ‚Afghanistan‘ checken ist das Letzte, was ich abends mache, bevor ich ins Bett gehe.“ Aber natürlich kämen nun auch neue Themen hinzu – wie eben Somalia. „Und darauf freue ich mich auch.“ Klar ist aber auch: Afghanistan mit all seinen Facetten und den mehrschichtigen Wahrheiten wird sie wohl nicht mehr loslassen. Gefragt, wo das Afghanistan von heute steht, sagt sie: „Wenn du eine positive Geschichte mitbringen willst: kein Problem. Und wenn du das Land in Grund und Boden schreiben willst, so geht das natürlich auch.“ Daher ihr Fazit: „Du versuchst zu vermitteln, dass es die Grautöne sind, die ein Land spannend machen.“ Und das gilt nicht nur für Afghanistan, sondern wohl ganz generell für ihre Arbeit als Korrespondentin.