Der steinige Weg zur Meinungsfreiheit

Afghanische Journalisten diskutieren mit deutschen Kollegen

Text: Stephanie Lob – Fotos: Dirk Liesemer

Foto: Dirk Liesemer

„Die Mullahs haben immer noch ein größeres Publikum als alle afghanischen Medien.“ Das sagt Shahir Zahine, Präsident der Killid Media Group, die in Afghanistan fünf Radiosender und zwei Wochenmagazine betreibt. Die Aussage mag zugespitzt sein, aber sie verdeutlicht das Problem: Auch zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban kämpfen Journalisten am Hindukusch noch immer um die Meinungshoheit. Über den steinigen Weg hin zu einer Mediendemokratie diskutierten am 30. November und 1. Dezember 2011 in Bonn fünf afghanische und neun deutsche Journalisten auf Einladung von journalists.network, dem Entwicklungshilfe-Dachverband VENRO und dem freien ARD-Autor und Afghanistan-Korrespondenten Martin Gerner, der die Veranstaltung auch moderierte.

Auf den ersten Blick hat sich in Afghanistan seit 2001 viel getan. Es gibt rund 150 Radio- und 40 TV-Sender sowie 200 Printmedien. Noch nie gab es ein so vielfältiges Informationsangebot in dem Land, in dem viele Menschen Analphabeten sind. Dennoch ist die Freiheit ständig in Gefahr. Davon kann Ghousuddin Frotan berichten, der in Kandahar unter anderem für das Wall Street Journal arbeitet. Die südliche Provinz gilt als Hochburg der Aufständischen und Drohungen gegen Journalisten seien an der Tagesordnung, sagt Frotan. Sie kommen per SMS oder E-Mail, in den meisten Fällen sind die Absender bekannt.

Nicht nur die Taliban und Warlords, auch die Regierung in Kabul und die internationale Afghanistan-Truppe ISAF setzen Medien unter Druck. Humaira Habib moderiert bei einem regionalen Radiosender für Frauen in Herat. Zu ihrem Alltag zählt, dass Journalistinnen bedroht werden, weil sie es wagen, ihren Beruf auszuüben. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen wurden in den vergangenen zehn Jahren 16 Journalisten in Afghanistan ermordet. Humaira Habibs Kolleginnen verzichten deshalb weitgehend auf Recherchen außer Haus.

Ein täglicher Kampf ist es, überhaupt an verlässliche Informationen zu kommen. Das verdeutlicht Danish Karokhel, Chef der Nachrichtenagentur Pajhwok mit Sitz in Kabul. Nicht nur, weil bestimmte Landesteile wie der Süden und der Osten heftig umkämpft sind. Sondern auch, weil die Regierung um Präsident Karsai heimische Medien gezielt benachteiligt.

„Ausländische Korrespondenten warten in der Regel einen Tag auf eine Antwort, wir gerne schon mal eine Woche“, sagt Karokhel. Zu den Forderungen, welche die Journalistengruppe an die Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember 2011 richtete, gehört deshalb auch ein besserer Zugang zu Informationen, aber auch eine unabhängige Stiftung zur Finanzierung der Medien, denn viele hängen am Tropf internationaler Geber.

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Fazit: Eine „vierte Gewalt“ sind die Medien in Afghanistan noch lange nicht. Dennoch glaubt Enaiatullah Najafizada, der mit 23 Jahren jüngste der Journalisten vom Hindukusch, an die Zukunft seines Landes: „Dass die Taliban wieder die Macht übernehmen, ist unvorstellbar.“

Mit den afghanischen Kollegen diskutierten: Marian Brehmer (freier Journalist), Nilofar Elhami, (Dradio Wissen), Sven Hansen (taz), Gerwald Herter (Deutschlandfunk), Paul-Elmar Jöris (WDR), Ulrich Ladurner (Die Zeit), Dirk Liesemer (journalists.network), Stephanie Lob (Deutschlandfunk) und Bernd Ludermann (Weltsichten).

Das Abschlussdokument mit Empfehlungen der Teilnehmer steht auf der VENRO-Website zum Download bereit. Dort finden sich auch weitere Berichte über das Seminar.

Idee und Konzept zu der Veranstaltung stammen von dem freien Afghanistan-Korrespondenten Martin Gerner. Er arbeitet unter anderem für den ARD-Hörfunk, Deutschlandradio und Deutsche Welle – und bildet seit 2004 im Auftrag internationaler Medien-NGOs afghanische Journalisten aus.