Klimawandel, Khat – und ein bisschen Chaos

Alumnireise nach Somaliland im November 2022

Foto: Florian Guckelsberger

Text: Lars Langenau

Somalia? „Oh, das ist aber gefährlich, pass gut auf Dich auf!“ Das war der Tenor der Reisewünsche für die acht jn-Alumni, die sich im November auf den Weg nach Hargeisa machen. Hargeisa! So heißt die Hauptstadt von Somaliland – und nicht etwa Mogadischu. Aber das hat sich noch immer nicht weltweit verbreitet.

Deshalb zunächst ein bisschen Länderkunde: Somaliland ist Nachbar von Äthiopien und liegt am Horn von Afrika gegenüber von Jemen. Bis 1960 hieß es Britisch-Somaliland. Nach der Unabhängigkeit hat es sich mit Italienisch-Somalia zusammengeschlossen und ist bis heute der nordwestliche Teil Somalias. Zumindest rein völkerrechtlich betrachtet, denn 1991 hat sich Somaliland nach einem Krieg von dem bis heute dysfunktionalen „Staat“ Somalia unabhängig erklärt. Flächenmäßig ist das quasi-souveräne Somaliland größer als Großbritannien oder Rumänien, dabei aber sehr dünn besiedelt: Keine 4,5 Millionen Menschen leben dort, die Zahlen schwanken. An der 850 Kilometer langen Küste mit den weißen Sandstränden gibt es bisher ein einziges Hotel.

Praktisch alles wird importiert

Die (möglicherweise) Millionenstadt Hargeisa ist abends in weiten Teilen nur in den Moscheen beleuchtet, geteerte Straßen sind selten. Zugleich gibt es viele Eis-Salons. Praktisch alle Lebensmittel und Konsumgüter werden importiert. Das sagt viel über dieses Land, dessen Staatshaushalt lediglich bei etwa 350 Millionen US-Dollar liegt. Somaliland, soweit ist klar, ist ein armes Land. Wie arm, weiß man nicht. Statistiken gibt es immer nur für den Gesamtstaat Somalia. Der liegt etwa im Welthunger-Index auf dem 116. und damit letzten Platz. Da Somaliland aber, siehe oben, völkerrechtlich nicht eigenständig ist, wird es auch nicht von der UN gelistet. Vertrackt.

Der offizielle Titel der Recherchereise lautete „Verheerende Dürre – Klimawandel am Horn von Afrika“. Dessen Auswirkungen haben wir bei Besichtigungen von Projekten der Förderer Welthungerhilfe, Handicap International und CARE deutlich spüren können. Vier Mal in Folge ist die Regenzeit ausgefallen, Besserung ist nicht in Sicht. Die Dürre erschwert das eh schon harte Leben dieser Gesellschaft, die bis zu 70 Prozent aus sogenannten Pastoralisten – das kommt vom lateinischen Wort für Hirten – besteht. Vermehrt ist von Suiziden die Rede, von Menschen, die keinen Ausweg mehr sehen, wenn ihr Vieh verdurstet – oder die eigenen Kinder sterben. Zusätzlich verschärft wird die Situation durch den Ukraine-Krieg, durch den sich die Nahrungsmittelimporte extrem verteuert haben.

Foto: Max Kuball

Ein „Baum ohne Namen“

Wir haben Minister getroffen, Oppositionelle, Expertinnen und Experten und Journalistinnen und Journalisten. Dabei haben wir auch viel über ein Gewächs „ohne Namen“ erfahren, das Entwicklungshelfer einst pflanzten, um die Verwüstung zu stoppen. Das klappte nur so mäßig: Seither breitet sich die Pflanze – die natürlich doch einen Namen hat: Prosopis nämlich – unkontrolliert immer weiter aus und richtet zunehmend Schaden an. Doch damit soll nun Schluss sein: Mehrere Projekte wollen die Bäume nutzbar machen, als Holzkohle oder Futter für das allgegenwärtige Vieh.

Foto: Lars Langenau

In Somaliland soll es weltweit die meisten Kamele geben. Und tatsächlich begegnet man ihnen überall – sogar auf der Speisekarte des besten Hotels von Hargeisa:  Chili Fried Camel, Pot Roast Camel, Swiss Camel Steak…

Kamel in Sahnesoße

Wenn sie nicht gerade in Sahnesoße serviert werden, sind Kamele wie auch Ziegen und Schafe die Exportschlager des Landes. Sie werden nach Saudi-Arabien verkauft, besonders während  des Haddsch laufen die Geschäfte mit dem lebenden Vieh bestens. Verschifft werden sie über den Hafen von Berbera, dessen neue Kais wir besichtigen konnten. Riad exportiert im Gegenzug vor allem Wahhabismus. Das zeigt sich vor allem an einer offenbar zunehmenden Zahl von Frauen, die Niqab tragen und sich damit stark von den bunten Gewändern der somalischen Frauen abheben: Der schwarze Schleier bedeckt das ganze Gesicht, nur noch die Augen sind zu sehen. Keine einfach zu durchdringende Thematik.

Foto: Max Kuball

Neben den Großthemen Dürre, politische Souveränität und Handel haben wir viele traurige, aber auch lustige, kuriose und verrückte kleine Geschichten erleben dürfen. Und die sagen manchmal mehr aus als die großen, die wir schon geschrieben haben oder noch schreiben werden.

So etwa gleich nach der Landung auf dem „Egal International Airport“ in der Hauptstadt Hargeisa. Da darf man weder rauchen noch die lokale Droge Khat kauen, wie Verbotsschilder zeigen. Man darf – entgegen anderslautender Infos im Netz – auch keinen Alkohol ins streng muslimische Land einführen. Entsprechend wurde eine Buddel Rum nach fast körperlichem Ringen mit Bewaffneten gleich am Flughafen konfisziert. Die einhellige Meinung der Reisegruppe: Da haben sich ein paar Leute einen schönen Abend gemacht. Und aus irgendeinem Grund kommt der Rum viel später beim Termin mit dem Außenminister wieder zur Sprache. Der verspricht: Beim nächsten Besuch einfach ein kurzer Anruf bei ihm, dann gehe das schon.

Eine Ex-Hebamme, Ex-First-Lady, Ex-Außenministerin

Legal. Illegal. Egal (International Airport). Dieser ist nach Mohammed Haji Ibrahim Egal benannt, in den 1960er Jahren Premier Somalias und von 1993 bis 2004 Präsident von Somaliland. Eines der Highlights unserer Reise: Wir können Frauenaktivistin Edna Adnan treffen, die Witwe des früheren Präsidenten. Mit 85 Jahren die Grande Dame Somalilands. Eine Ex-Hebamme, Ex-First-Lady, Ex-Außenministerin und Verfechterin für Frauen, die sich dem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung verschrieben hat. Ihr „Erfolg“ nach mehr als 50 Jahren Kampf gegen FGM, wie sie uns ernüchtert sagt: „Vielleicht von 99 auf 97 Prozent – in den Städten“.

Foto: Katrin Gänsler

Soziale Probleme überall. So auch in dem psychiatrischen Krankenhaus außerhalb von Hargeisa, in dem auch Männer behandelt werden, die nach dem jahrelangen Kauen von Khat Psychosen entwickelt haben. Eine pflanzliche Droge, von der bis zu 70 Prozent der Männer abhängig sein sollen. Während unseres Rundgangs schreit einer der Patienten „I am Jesus Christ!“ aus seiner vergitterten Zelle – und das in einem derart streng muslimischen Land. Absurd, eindrücklich, tieftraurig.

Zum Schluss dieser ersten jn-Reise nach dem zweijährigen Covid-Stillstand fragt ein Teilnehmer: „Ist Euch aufgefallen, dass wir hier nie Musik gehört haben?“ Wohl wahr: In Somaliland ist viel Stille. Ganz anders als in anderen afrikanischen Ländern und ganz anders als in der arabischen Welt. Somaliland ist so etwas wie die Schnittmenge beider Kulturen – und doch anders, ganz anders.

Die Alumnireise nach Somaliland wurde organisiert von Jonas Gerding (freier Journalist), Max Kuball (Deutschlandfunk Kultur) und Elisa Rheinheimer (freie Journalistin). Unterstützt wurde die Reise von der Welthungerhilfe, Handicap International und CARE.