„Eine Welt, ein Traum“? – Beijing vor den Olympischen Spielen

Recherchereise nach China im Frühjahr 2008

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Einen Satz hören wir in China immer wieder: „Ich habe keine Angst.“ Ding Ai sagt diesen Satz. Sie steht auf einem Bauschutt-Hügel und spricht in die Mikrofone, die wir ihr entgegenstrecken. Die Geschäftsfrau klagt über die Mauer mitten in ihrem Hof. Das Bauamt hat sie hochgezogen. Man wollte den hinteren Teil ihres Hofes enteignen, samt Gebäuden. Ding Ai riss die Mauer wieder ein, legte Beschwerde ein.

„Ich habe keine Angst“, sagt auch Teng Biao. „Ich bin darauf vorbereitet, verhaftet zu werden.“ Teng Biao ist Menschenrechtsanwalt. Wir treffen ihn in einem kleinen Zimmer unseres Pekinger Hotels. Die Hitze treibt uns Schweißperlen auf die Stirn. Die Klimaanlage muss ausbleiben, weil sonst ein Surren auf den Tonbänder bliebe. Wir fürchten, die Staatssicherheit könne unser Treffen stören, deshalb haben wir uns für das Hotelzimmer statt eines Cafés entschieden. Der 34-jährige Teng hat Erfahrung mit ausländischen Medien und mit der Staatssicherheit. „Als Intellektueller ist es meine Pflicht, für die Menschenrechte in China zu kämpfen“, sagt er. Wenige Tage später verliert Teng Biao seine Anwaltslizenz. Das liegt jedoch nicht an unserem Treffen, sondern an seiner Bereitschaft, Tibeter zu verteidigen, die bei den Unruhen im Frühjahr 2008 verhaftet wurden.

Wir sind überrascht über die Offenheit, mit der viele Chinesen Staat und Behörden kritisieren. Vor allem jene elf der insgesamt 16 Teilnehmer in unserer Gruppe, die zum ersten Mal in China sind, hätten das nicht erwartet. Am Ende unserer Reise ist klar: Die Antwort auf die Frage „Chinas Olympische Spiele: Eine Welt, ein Traum?“ lautet: Intellektuelle und Manager, Künstler und Bauern – sie alle haben verschiedene Träume und Vorstellungen. Rund 30 Interviews führen wir, 30 Mal bekommen wir einen anderen Einblick in dieses so vielfältige, widersprüchliche Land.

Doch sobald unsere Fragen das politische System berühren, fallen die Antwort weitgehend einheitlich aus. „Ich kann in China viel Geld verdienen und gut leben“, sagt ein Mitarbeiter von Lenovo. „Ob Pressefreiheit herrscht oder nicht – das ist doch unwichtig.“ Der junge Mann hat in den Vereinigten Staaten gelebt, doch sein Denken entspricht ganz der Linie der Kommunistischen Partei. Auch Lo Sze Ping, Greenpeace-Chef in China, findet erstaunlich viele lobende Worte für die chinesische Regierung. Spektakuläre, anprangernde Kampagnen, mit denen Greenpeace im Westen immer wieder in die Schlagzeilen kommt, lehnt er als Mittel ab, um in China für den Umweltschutz zu kämpfen. „Hier engagieren wir uns eher in einer konstruktiven Weise“, sagt Lo.

China_2008_2Alles ist gut – das ist auch das Motto bei Volkswagen China. Pan Qing, Direktor fürs Olympia-Marketing, lobt die Begeisterung der Chinesen für den Fackellauf. „Eine bombastische Volksstimmung“ herrsche da. Die Proteste im Ausland? „Tatsache ist, dass wir an die olympischen Grundwerte glauben.“ Immer positiv und freundlich äußert sich auch Sun Weide, Sprecher des Pekinger Organisationskomitees für Olympia. Abwehren in altkommunistischer Manier – das gibt es bei dem Karriere-Diplomaten nicht. „Natürlich sind Demonstrationen während der Spiele in Peking erlaubt“, sagt er. „Aber vorher bedarf es einer Genehmigung.“ Das ist doch überall so, auch in Deutschland. Also, noch Fragen?

Ja, haben wir! Nach elf Tagen China rätseln viele aus der Gruppe über die Parallelwelten und Gegensätze in China. Während Menschenrechtsanwälte ihre Existenz riskieren, ist anderen egal, ob China eine Demokratie oder Diktatur ist. Während sich einige Manager um modernste Technik bemühen, kippen andere nur wenig weiter ihren Dreck ungeklärt in Seen. Das wird uns in Hangzhou klar. Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) zeigen uns eine Verbrennungsanlage für Sondermüll und eine Fabrik für Kobaltprodukte. Mit deutscher Hilfe entstehen hier Hightech-Anlagen, die umwelttechnisch und hinsichtlich der sozialen Verantwortung für ihre Angestellten eine Leuchtturm-Funktion einnehmen. Doch noch sind diese Vorzeige-Werke weit davon entfernt, Standards im Land zu werden. „Wir können immer nur einen Anstoß geben“, räumt Rolf Dietmar ein, GTZ-Programmdirektor in Hangzhou.

Was bleibt unterm Strich, nach elf Tagen China? „Wir haben Verwirrung auf hohem Niveau geschaffen“, sagt Organisator Sven Hansen. Das ist nicht das Schlechteste, würde Konfuzius sagen. Denn der Meister sprach: „Der Wissende ist noch nicht so weit wie der Forschende.“

Organisiert wurde die China-Reise von Astrid Maier (Financial Times Deutschland), Kirstin Wenk (freie Journalistin) und Sven Hansen (taz).