Kap der neuen Hoffnung – Südafrika nach Zumas Rücktritt
Recherchereise nach Südafrika im April/Mai 2018
Text: Sophia Münder
„Auch wenn die Fesseln der Apartheid gefallen sind, spürt man noch den Schmerz“, sagt Albie Sachs. Es ist ganz still. Nur das Meeresrauschen ist zu hören. Die plötzliche Zusage des ehemaligen Verfassungsrichters – ernannt von Nelson Mandela – ist die wohl größte Überraschung auf dieser 14-tägigen Recherchereise durch Südafrika.
Auf einmal sitzen wir in seinem Haus am Strand von Kapstadt mit Blick auf den Ozean. Albie Sachs nimmt in einer halb offenen Glaskugel, die von der Decke heruntergelassen ist, Platz. Sein rechter Hemdsärmel hängt schlaff herunter, sein Armstumpf ist zu erahnen. Durch eine Autobombe – versteckt durch Südafrikanische Sicherheitskräfte – verliert er in Mosambik seinen rechten Arm und erblindet auf einem Auge. 1994 wird er zum Verfassungsrichter ernannt.
Vor allem wenn es um die Verteilung der Landflächen geht, ist der Schmerz der Fesseln der Apartheid noch zu spüren. Auch Jahrzehnte nach deren Ende ist ein Großteil der Landflächen in der Hand weißer Farmer. Nach Zumas Rücktritt ist die Landreform eines der großen Themen in Südafrika, angeheizt durch den neuen Präsidenten Ramaphosa. Ein großes, mit vielen Emotionen und Herausforderungen behaftetes Thema. Helen Zille, Premierministerin der Provinz Westkap ist gegen die Landreform. Mit ihren provokanten Thesen und Tweets sorgt die Politikerin der Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) immer wieder für Aufsehen.
Bei der Welttierschutzstiftung sehen wir, wie arme Kleinbauern in einer Art Schulunterricht beigebracht bekommen, wie sie korrekte Landwirtschaft mit ihren Nutztieren betreiben, wie sie die Tiere vor Seuchen schützen und davon leben können. In Stellenbosch erklären uns die Farmer von Villiera Wines, wie nachhaltiger Weinanbau funktioniert. Südafrika zeigt sich von seiner schönsten Seite: in der Abendsonne fahren wir in Safari-Autos an den Weinbergen entlang, im benachbarten Reservat strecken Giraffen ihre Hälse in in den Sonnenuntergang.
Die Landschaft ist aber auch hier so ausgetrocknet, dass wir die Ausmaße der Wasserknappheit sehen können. Der akute Wassermangel ist das Thema in Kapstadt. Von der Wasserbeauftragten der Stadt bekommen wir Hintergrundinformationen und Lösungsansätze präsentiert. In einem Projekt des WWF sehen wir, wie eingeschleppte Pflanzen beseitigt werden, die massiv Wasser speichern, und so ganze Landabschnitte austrocknen.
Beim Dinner erzählen uns zwei Filmemacherinnen, wie es um Frauenrechte in Südafrika steht. Mit ihrer ironischen Serie „The Foxy Five“ packen sie das Thema beim Schopf und treten mit ihrer Arbeit auf Filmfestivals auf der ganzen Welt auf.
Und ausgerechnet in Philippi, einem der größten Townships Südafrikas, entdecken wir einen Hotspot der Startup-Szene. Im „Solution Space“, einem supermodernen Bau aus bunten Containern, werden Gründer aus dem Township bei ihren Projekten unterstützt: vom Food-Truck mit Muffins bis zum Sozialprojekt. Wir erfahren, dass Startups in Südafrika oft sozialer und nachhaltiger sind, als in Deutschland.
Johannesburg – ein Stück „richtiges Afrika“
Kapstadt war der ideale Ort, um sich an das Land langsam zu gewöhnen. Die deutschen Korrespondenten, die wir hier kennenlernen, nennen Kapstadt auch „Südafrika light“. Johannesburg, wo wir den zweiten Teil unserer Reise verbringen, gilt als weitaus gefährlicher. Das sei ein Stück „richtiges Afrika“. Auch dort spüren wir die enormen Gegensätze des Landes.
Wir wohnen in Maboneng, einem aufstrebenden Hipster-Viertel, das an Brooklyn erinnert. Hier feiert abends die Kreativ-Szene und die Gentrifizierung schreitet mit großen Schritten voran. Ein junger Geschäftsmann investiert in diese Gegend, belebt verlassene Bauten wieder (wie auch unser Hotel) und kreiert somit ein ganz neues Wohnviertel. Ein paar Blocks weiter ist der Glitzer verflogen: die Fassaden sind runtergerockt, Bettler durchsuchen den Müll.
Auch der „Ponte Tower“, das Wahrzeichen Johannesburgs, zeigt, wie sich die Stadt verändert. Der 173 Meter hohe Turm war einst eine schicke Adresse der weißen Oberschicht, verkam dann zur No-Go-Area. Francois Leya, der uns durch den Turm führt, erzählt, wie seine Mutter ihm gesagt habe: „Wenn du nicht zur Schule gehst, dann wirst du dort landen“. Aber das Image der 54 Stockwerke hat sich gewandelt; es wurde renoviert und ein strenges Sicherheitssystem eingeführt. Der einst „höchste Slum Südafrikas“ ist zu einem „Ort der Hoffnung“ geworden.
Im Goethe-Institut tauchen wir noch einmal in die Startup-Szene ein, das Institut unterstützt junge Gründer – sei es beim Vertrieb von Kaffee oder bei der Vermarktung eines umgebauten Busses, der Schüler darüber aufklären soll, wie man schon mit kleinen Veränderungen in seiner Wellblechhütte nachhaltiger leben kann.
Zumas Hinterlassenschaft: ein korruptes System
In Johannesburg werden wir nun auch mit dem korrupten System konfrontiert, das Ex-Präsident Zuma hinterlassen hat. Die Journalisten des investigativen Netzwerks amaBhungane (auf Deutsch: Mistkäfer) haben es aufgedeckt. Mit tausenden E-Mails, den sogenannten „Gupta-Leaks“, belegten sie die Klüngelei Zumas mit der indischen Unternehmer-Familie Gupta. Diese Geschichte sei noch lange nicht zu Ende erzählt, sagen sie.
Ein Thema, bei dem Südafrika hingegen Fortschritte macht, ist die Bekämpfung von HIV/Aids. Zwar ist noch immer jeder vierte Erwachsene HIV-positiv. Aber das Problem wird mittlerweile angepackt: Die Medikamente gibt es kostenlos, aus Steuergeldern finanziert. Im Stadtteil Alexandra können Kranke sich ihre Medikamente schnell und sicher aus einem Automaten ziehen, um nicht mehr in der Apotheke Schlange stehen zu müssen. Der Automat wird von einem Roboter gefüllt. Ein enormer technischer Fortschritt – in einer der ärmsten und gefährlichsten Townships Südafrikas.
Im Chris Hani Baragwanath Hospital bekommen wir einen Einblick in die öffentliche Gesundheitsversorgung Südafrikas. 85 Prozent der Südafrikaner sind auf diese angewiesen. Das Krankenhaus ist mit 2900 Betten das größte Hospital Afrikas. Generationen von Ärzten wurden hier ausgebildet und machten es berühmt. Viele deutsche Ärzte arbeiten hier oder machen hier während des Studiums Station.
Zum Abschluss unserer Reise erwartete uns ein weiterer Höhepunkt: Wir treffen Ndaba Mandela, einen Enkel Nelson Mandelas, zum Interview. Sein Großvater wäre diesen Juli 100 Jahre alt geworden. Den Kritikern, die jetzt sagen „Mandela has sold out“ entgegnet er: sein Großvater habe erfolgreich gegen die Apartheid gekämpft, den Grundstein gelegt. Nun sei es an der jetzigen Generation die „mentalen Ketten“ zu lösen. Der deutsche Botschafter Martin Schäfer, den wir in Pretoria treffen, sagt: „Wenn wir Mandela in diesem Jahr feiern, dann feiern wir damit auch den Mut all jener Menschen, die überall in der Welt gegen Unterdrückung und Ungleichheit, gegen Ungerechtigkeit und Willkür kämpfen.“ Abends schaut Ndaba Mandela noch auf einen Drink vorbei. Wer kann schon von sich behaupten, mit einem Enkel Mandelas angestoßen zu haben?
Südafrika hat uns mit seinen enormen Widersprüchen, seiner Vielfalt und seinen so freundlichen und offenen Menschen in den Bann gezogen. Die Tatsache, dass Südafrika so gespalten war, habe zu einer fast „ironischen Vitalität“ geführt, hatte Albie Sachs am Strand von Kapstadt gesagt – und dann hinzugefügt: „In Südafrika ist die Schönheit so schön und die Hässlichkeit so hässlich – aber die Schönheit gewinnt“.
Die Südafrika-Reise wurde organisiert von Lisa-Marie Eckardt (freie Journalistin) und Charlotte Horn (NDR Info). Unterstützt wurde die Recherchereise vom New Venture Fund, von Braun, Bayer, der Welttierschutzstiftung und Studiosus.