Ein weiter Weg zum „totalen Frieden“
Recherchereise nach Kolumbien im Februar/März 2023
Von Susan Jörges
Wo steht Kolumbien sieben Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages und bald ein Jahr nach der Wahl von Präsident Gustavo Petro? Mit dieser Frage haben wir – eine Gruppe von zwölf Journalist:innen – uns auf einer Recherchereise nach Kolumbien vom 18. Februar bis 4. März 2023 beschäftigt. In diesen zwei Wochen sind wir durch verschiedene Regionen gereist, haben Menschen getroffen, die uns von Fortschritten und Problemen im Land berichtet haben und sind an Orte gefahren, an denen die Konfliktthemen sichtbar sind.
Bereits zu Beginn unterer Reise wird schnell klar, dass Gustavo Petros „Totaler Frieden“ ambitioniert ist: In der Hauptstadt Bogotá treffen wir zunächst kolumbianische Journalisten, die uns Einblicke in die aktuelle Situation des Landes und den Zustand der Pressefreiheit geben. Um tatsächlich Frieden im Land herzustellen, müssen viele gesellschaftliche Gruppe mitgenommen und unterstützt werden, erfahren wir. Mit einigen von ihnen werden wir auf unserer Reise sprechen, die uns auch nach Cali, Popayán und in das Amazonasgebiet führt.
Wieder zurück in Bogotá empfängt uns schließlich Kolumbiens Außenminister Álvaro Leyva Durán, der sich selbst als „Friedensaußenminister“ bezeichnet. Er bemüht sich bereits seit den 1980er Jahren um Verhandlungslösungen für den bewaffneten Konflikt mit der Guerilla. Der Friedensprozess mit der FARC sei zwar einzigartig, sagt Durán, dennoch stünde man in den Verhandlungen mit allen beteiligten sozialen Gruppen noch ganz am Anfang: „Wenn man nicht genau weiß, wie man jedes Kapitel einzeln behandeln soll, ist der Friedensprozess eine große Herausforderung.“
Dass es in Kolumbien zu einem Regierungswechsel kam, hat viel mit der Stadt Cali zu tun – der zweiten Station unserer Reise. Die Unzufriedenheit der Kolumbianer:innen mit der Regierung des Ex-Präsidenten Iván Duque mündete 2021 in einen Volksaufaufstand, dem „Paro nacional“, bei dem es besonders in Cali zu gewaltsamen Protesten kam. Im Armenviertel Siloé erzählen uns dessen Bewohner von ihren Erinnerungen an den Aufstand. Hier treffen wir treffen Mütter und Väter von getöteten Aktivisten, besuchen Gedenkorte und sammeln Eindrücke von den Lebensbedingungen der Menschen vor Ort. Im Interview mit der stellvertretende Bürgermeisterin Maria Pilar Cano sprechen wir etwa darüber, wie die Stadt sicherer werden kann.
Weiter südlich, in der Stadt Popayán, treffen wir auf drei Vertreter:innen der Indigenenorganisation Cric, die elf große Völker in Kolumbien vertritt. Aida Quilcué ist eine von drei indigenen Abgeordneten im Senat und kämpft als Stimme der meist auf dem Land lebenden Indigenen für deren Rechte. Seit Gustavo Petro die Umsetzung des Friedensvertrages vorantreibt, fühlen sich die Indigenen Quilcué zufolge zwar mehr gehört. Sicher und akzeptiert von der breiten Gesellschaft seien die Völker allerdings nicht.
Auf einer Kaffeeplantage in der Andenregion begegnen wir Bauern der Kaffeekooperative Cosurca, die Kaffee nach ökologischen Richtlinien anbauen. Der Klimawandel zeigt sich hier auf 1.800 Metern Höhe durch veränderte Regen- und Trockenzeiten, wodurch Erntezeiträume kürzer und unregelmäßiger werden. Zufriedenstellende Ernten zu erzielen, wird für die Kaffeebauern in Südamerika immer schwerer. Die Cosurca-Bauern überlegen gemeinsam, wie sie dem Klimawandel begegnen können: Auf den Farmen der Kaffeebauern wachsen heute nicht nur Kaffeesträuchern, sondern auch Bananen, Yucca und mehr schattenspendenden Bäumen als zuvor. Die Kooperative Cosurca unterstützt die Kaffeebauern im Anpassungsprozess, vergibt Mikro-Kredite in Krisenfällen und organisiert die Weiterverarbeitung und den Export. Gekauft und importiert wird dieser von der Fair Trade Organisation Gepa, die den Kaffee in Deutschland verkauft.
Nach einem langen Reisetag im Bus, der uns über die Andenketten führt, kommen wir im Ort San Jose del Fragua an, der im Departamento Caquetá liegt. Von hier aus ist es nicht weit zum Regenwald. Noch vor Sonnenaufgang des nächsten Tages startet die zweieinhalbstündige Wanderung zu einer Finca inmitten des Nationalparks Alto Fragua. Verschiedene paramilitärische Gruppen, die den Friedensvertrag nicht anerkennen, besetzen Gebiete des Nationalparks und stellen teilweise Kokain her. Die Bauernfamilie, die auf der Finca lebt, pflanzte bis vor fünf Jahren Kokapflanzen an, die sie für gutes Geld an Zwischenhändler verkaufte. Um die Umwelt zu schützen und den Drogenhandel nicht weiter zu unterstützen, lebt die Familie heute stattdessen von Zuckerrohr, Bananen und Gemüse. Ihr neues Leben im Nationalpark ist zwar sicherer. Doch der Preis für den Frieden ist hoch. Das Schulgeld oder die Kosten für Medikamente kann sich die Familie ohne den Kokaanbau nun nicht mehr leisten. Denn die versprochenen finanziellen Hilfen der Regierung, die der Familie für ihre Abkehr vom Kokoanbau versprochen wurden, lassen größtenteils weiter auf sich warten. Stattdessen wird die Familie, ebenso wie gut 200 weitere Familien im Nationalpark, vom WWF und der Nationalparkverwaltung durch Workshops unterstützt.
Mit dem Umweltschutz beschäftigen wir uns auch bei dem Besuch einer Grünfilteranlage, die das Abwasser einer kleinen Gemeinde drei Stunden nördlich der Hauptstadt reinigt. Obwohl es gesetzlich vorgeschrieben ist, hat nicht jede Gemeinde in Kolumbien ein funktionierendes Klärsystem. Der Leiter des von Kärcher und dem Global Nature Fund geförderten Projekts, Felipe Valderrama Escallón, zeigt uns die langen, schmalen Wasserbecken, in denen Wasserhyazinthen aus dem Amazonas das Wasser filtern.
Unsere Reise endet dort, wo wir gestartet haben, in Bogotá. Bevor wir den Außenminister treffen, besuchen wir die Organisation Humanidad Vigente Corporación Jurídica, die an den Friedensgesprächen beteiligt ist und Betroffenen des Konfliktes Rechtsberatung anbietet. Bei der von Misereor geförderten NGO werden wir viele Fragen los, die sich auf der Reise angesammelt haben: Wie werden Bauern entschädigt, deren Land von Guerillagruppen enteignet wurde? Wie können Gewalttaten und Entführungen im Paro Nacional aufgearbeitet werden? Und wie verlaufen die Friedensgespräche zwischen Regierung und Konfliktparteien?
Die vielen Eindrücke, Widersprüche und Begegnungen in Kolumbien haben uns begeistert. Wir sind gespannt, wie sich das Land weiter entwickeln wird.
Organisiert wurde die Reise von Antonia Schaefer (freie Journalistin, ehemals freie Korrespondentin in Kolumbien), Nicole Frölich (freie Journalistin und Moderatorin, ehemals Korrespondentin der DW in Kolumbien) und Jannis Carmesin (Redakteur bei ZEIT ONLINE).
Finanziell unterstützt wurde die Reise von WWF, Misereor, Pixsy, Frölich Versicherungen, JustWatch, Gepa und Kärcher.