Eine historische Chance

Recherchereise nach Kolumbien im November 2016

Text: Claudia Doyle

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Kolumbianische Friedensaktivisten campieren vor dem Kongressgebäude.

Über fünfzig Jahre Krieg, 220.000 Opfer, über fünf Millionen Vertriebene. Wer wünscht sich da nicht endlich Frieden? Jahrelang hat die kolumbianische Regierung mit den FARC-Rebellen darüber verhandelt, und in mühsamer Kleinarbeit ein Friedensabkommen aus der verbrannten Erde geformt. Doch als Präsident Santos das Volk an die Urnen rief, mehr symbolische Geste als Notwendigkeit, kam der Prozess ins Straucheln. 50,2 Prozent der Kolumbianer stimmten am 2. Oktober mit Nein, die Mehrheit stimmte gar nicht. Sie verhinderten den Friedensvertrag. Wir, 14 Journalisten aus Deutschland und der Schweiz, wollen herausfinden, warum. Und finden unglaublich viele Antworten.

AirEurope fliegt uns zu einmalig günstigen Konditionen von Frankfurt über Madrid in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá. Der dabei entstandene monetäre Verlust für die Airline wurde vermutlich beim Flugzeugessen eingespart. Bogotá ist der optimale Ort für Stadtplaner, die Herausforderungen lieben. Viel zu viele Autos schieben sich jeden Tag über die Straßen, der öffentliche Nahverkehr besteht nur aus ein paar Bussen, und die wenigen Radfahrer blicken jeden Tag dem Tod ins Auge.  Wo immer wir auch hin wollen, wir planen sicherheitshalber doppelt so viel Reisezeit ein. Und Termine haben wir viele.

In der Schweizer Botschaft informieren wir uns bei einem Hintergrundgespräch über die Lage im Land. Bei der Agencia para la Reintegración (AUC) erzählen uns zwei Ex-Guerilleros (ein Ex-Mitglied der FARC und ein Paramilitär) von ihrem Ausstieg aus dem Krieg und der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Wir treffen uns mit kolumbianischen Journalisten und mit Vertreterinnen von Costurero de la Memoria, deren Angehörige dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind.

Gruppenbild mit Hund. Vorne das Exekutiv-Komitee, hinten die Teilnehmer. Alle bester Laune im Hafen von Barranquilla.

Gruppenbild mit Hund. Vorne das Exekutiv-Komitee, hinten die Teilnehmer. Alle bester Laune im Hafen von Barranquilla.

In den nächsten Tagen merken wir immer deutlicher: Fast jeder Kolumbianer kann eine Geschichte von Leid und Trauer erzählen. Und auch jene, die bei der Volksabstimmung mit „Nein“ votiert haben, wünschen sich den Frieden. Nur die vielen Zugeständnisse, die die Regierung den FARC-Rebellen gemacht hat, die passen ihnen nicht.

Beim Interview mit dem konservativen Ex-Presidente Uribe, dem prominentesten Gegner des Friedensabkommens, schaffen es nicht alle von uns, die strengen Sicherheitschecks im Kongress zu passieren. Passnummern fehlen oder haben zu viele Buchstaben oder zu wenige Zahlen. So genau weiß man es nicht. Während die Hälfte der Gruppe also brav ihre Fingerabdrücke abgibt, wird der Rest einfach an der Sicherheitsschleuse vorbeigeschickt. Uribe entpuppt sich als kolumbianischer Seehofer. Er paart sein gewinnendes Lächeln mit erwartbaren Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat.

Doch nicht nur Uribe hat gegen das Abkommen Stimmung gemacht. Auch die katholische Kirche warb mehrheitlich engagiert für das „Nein“. Padre Echeverri erklärt uns, dass viele Kirchenvertreter sich vor allem an den zahlreichen Genderthemen im Vertrag gestört hätten, wo doch ihrer Meinung nach die traditionelle Familie geschützt werden müsse. Er selbst ist jedoch ein Befürworter des Friedensvertrags und war bei den Verhandlungen in Havanna dabei. Auch die Kirche ist sich also nicht einig.

Auch durch das „gefährlichste Viertel Bogotás“ werden wir chauffiert. Denn dort in der Bronx hat die Polizei Bordelle, Drogenküchen und Folterkeller ausgehoben. Unser Bus zuckelt also durch verstopfte Straßen, zwängt sich an Gemüseständen und Klamottenläden vorbei, bis wir schließlich eine von Absperrgittern verstellte Seitenstraße passieren. Da, dahinter, da war es. Wir hatten es uns ein wenig anders vorgestellt.

Postkartenkitschidylle im Parque Tayrona.

Postkartenkitschidylle im Parque Tayrona.

Nach einem freien Recherchetag verlassen wir das regengraue Bogotá in Richtung Barranquilla. Dort angekommen weht uns karibisch warme Luft um die Nase. Wir erkunden rasch den Hafen, wo wir über dessen Geschichte und wirtschaftliche Bedeutung aufgeklärt werden. Dann rumpeln wir mit unserem Minibus Richtung Parque Tayrona in die Wildnis, weit weg von jeder Stadt. Da erfahren wir, dass die kolumbianische Regierung sich mit den FARC-Rebellen auf einen neuen Friedensvertrag geeinigt hat. Um 20 Uhr wird Präsident Santos das offiziell im Fernsehen verkünden. Es ist 17 Uhr. Im Bus bricht Aktionismus aus.

Wir wünschen uns zurück nach Bogotá, ins Zentrum des Geschehens. Stattdessen schieben wir uns quälend langsam durch den Verkehr und überreden den Busfahrer zu einem Umweg in die nächstgrößere Stadt Santa Marta. Dort überfällt ein Heuschreckenschwarm von Journalisten eine kleine Künstler-Bar und befragt in Windeseile alle Anwesenden zu ihrer Meinung zum neuen Friedensabkommen. Dann rattern wir weiter zu unserer traumhaften Finca. Das Meer und die Palmen rauschen im Kanon. Wer nicht arbeiten muss, genießt ein Bier und die laue Brise. Der Rest saugt mit seinen Laptops den Solarstromspeicher leer, bis schließlich das WLAN kollabiert.

Sonnenaufgang in Cartagena. Hinten nahen bereits die nächsten Regenwolken. Doch bisher strahlt noch die Sonne.

Sonnenaufgang in Cartagena. Hinten nahen bereits die nächsten Regenwolken. Doch bisher strahlt noch die Sonne.

Unsere nächste Karibik-Station ist Cartagena. Dort erfahren wir, was es mit dieser Regenzeit auf sich hat. Wenn es einmal angefangen hat zu regnen, dann hört es so schnell nicht wieder auf. Das Wasser staut sich auf den Straßen, schwappt über die Fußwege, bildet kleine Seen. Dazu ist es nahezu unerträglich heiß.

In Cartagena treffen wir uns mit Musikern der afrokolumbianischen Gemeinde von San Basilio de Palenque. Wir interviewen Bauern, die vor Jahren von ihrem Land vertrieben worden sind, aber noch immer auf Wiedergutmachung hoffen. Und Binnenflüchtlinge, die der Krieg aus dem Urwald gescheucht und in die Städte getrieben hat, erzählen uns ihre Geschichte.

Das nächste Flugzeug bringt uns nach Medellín. Die ehemalige Drogen- und Mordhauptstadt der Welt hat sich herausgeputzt. Sie umgarnt uns mit angenehmen Temperaturen, einem funktionierenden Verkehrskonzept und einem Helikopter-Flug. Aus der Luft sieht man, dass auch hier arm und reich dicht beieinander wohnen.

Doch die Stadt versucht, diese Gegensätze zu mindern und engagiert sich auch in den abgehängten Vierteln. Zum Beispiel mit Rolltreppen, die an die Steilhänge des Talkessels von Medellín montiert wurden. Sie sollen den Bewohnern des einst von Bandenkrieg geplagten Viertels den Weg zur Arbeit erleichtern. Doch die viel zu kurzen Betriebszeiten der Rolltreppen führen leider dazu, dass sie manchen eher als Touristenattraktion anstatt als sinnvolle Infrastrukturmaßnahme gelten.

Im Barrio 13 in Medellín treffen wir gleich einen neugierigen Nachwuchsjournalisten.

Im Barrio 13 in Medellín treffen wir gleich einen neugierigen Nachwuchsjournalisten.

Einige von uns suchen auch nach den Spuren Pablo Escobars: vorbei an seinem Versteck, seinem Haus, seinem Grab. Hin zu den Leuten, die er damals aus dem Slum geholt und ihnen Häuser geschenkt hat. Auch viele Jahre nach seinem Tod hat Pablo daher noch treue Fans in Medellín. Außerdem stehen auf dem Programm: ein Besuch beim Schriftsteller Hector Abad, Kaffeeernte auf einer Fair-Trade-Farm und ein Besuch bei inhaftierten Guerilleros. Und so endet die Reise, wie sie angefangen hat: Intensiv und schnell und überwältigend.

Mit rauchenden Köpfen, vollen Festplatten und leeren Batterien kehren wir zurück nach Deutschland. Die Geschichten schwirren uns schon durch die Köpfe und bald sicher auch durch die deutsche und schweizerische Presse.

Die Recherchereise nach Kolumbien wurde organisiert von Nina Belz und Nicole Anliker von der NZZ und den beiden freien Journalisten Lukasz Tomaszewski und Nicolas Martin. Wir bedanken uns für die Unterstützung der Reise durch Adveniat e.V., Fairtrade Deutschland, Daimler, Herrenknecht, KonTour Travel, die Standortförderung von Medellín und Barranquilla sowie die Hotelgruppe Dorada Plaza.

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