„Kim Jon Un hat überreizt – nicht nur ein bisschen“
Hintergrundgespräch mit Hartmut Koschyk in Berlin
Das war Zufall – aber ein wirklich passender: Während in Nordkorea zum ersten Mal seit 1980 ein Parteikongress der Arbeiterpartei Nordkoreas stattfand, haben wir Hartmut Koschyk zum Hintergrundgespräch von journalists.network getroffen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete ist einer der besten Kenner der rätselhaften Diktatur in Deutschland: Als langjähriger Vorsitzender der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe hat er das Land bereits oft bereist. Koschyk nahm sich viel Zeit, um von seinen Erfahrungen und Erlebnissen zu berichten sowie den Parteitag und die allgemeine Lage in Nordkorea zu bewerten.
Vom Abhalten des Parteitags selbst zeigte sich Koschyk dabei im Gegensatz zu vielen Beobachtern gar nicht überrascht: Die Veranstaltung sei seit zwei Jahren angekündigt gewesen. Dass Nordkorea dennoch immer wieder für weltweite Irritationen sorge, liege an einer klaren Strategie, ein Geheimnis aus ihrer Politik zu machen. Daher meint Koschyk: „Vieles in der Berichterstattung über dieses Land wird zur Sensation, auch wenn es ganz normale Vorgänge sind.“
Das gelte auch im Allgemeinen für die Poltik Nordkoreas: Diese sei keinesfalls als irrational oder verückt zu bezeichnen. Allerdings hat Kim Jon Un nach Ansicht von Koschyk die Machtspielchen zu weit getrieben, als er im Frühjahr einen Atom- und Raketentests durchführen ließ: „Kim hat überreizt – nicht nur ein bisschen.“ Die Machtdemonstration sorgte dafür, dass der Dialog mit Südkorea zum Stillstand kam und mit den Chinesen auch die letzten Freunde des Regimes auf Distanz gingen. Und auch der Dialog mit den Abgeordneten der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe liegt nun erstmal wieder auf Eis: So verzichteten Koschyk und seine Kollegen vorerst darauf, ein versprochenes Rind an den Zoo von Pjöngjang zu liefern – derzeit sei einfach nicht die Geschenke, so Koschyk.
Wegen des verheerenden außenpolitischen Wirkung der Tests vermutet Koschyk, dass diese der Machtsicherung nach innen gegolten hätten. Kim setze darauf, als Nuklearmacht anerkannt zu werden, um dann – auch mit den Amerikanern – auf Augenhöhe verhandeln zu können, auch über eine wirtschaftliche Öffnung des Landes.
Die interne Machtsicherung sei wohl zudem auch der Grund für den jetzt abgehaltenen Parteikongress: Damit inszeniere sich Kim Jong Un endgültig als Erbe seines bis heute zutiefst verehrten Großvaters, des Staatsgründers Kim Il Sung. Dennoch ist Koschyk skeptisch, was die tatsächliche Macht des jungen Diktators angeht – die Machtfülle seines Vaters oder Großvaters habe er aber wohl nicht: „Ich glaube nicht, dass Kim eine Machtposition hat, aus der heraus er eine politische Entscheidung treffen kann, ohne auf andere Machtstrukturen Rücksicht zu nehmen.“ Die These, der Parteitag leite eine Machtverschiebung von der Armee hin zur Partei ein, hält er jedenfalls für Quatsch – die Armee bleibe der bestimmende Machtfaktor im Land, besonders im wirtschaftlichen Bereich.
Doch trotz der vermeintlichen Demonstration von Stärke durch Waffentests und Parteitage – Koschyk hält das Regime für nicht so stabil wie es scheint. So gebe es inzwischen viele Nordkoreaner, die durch Auslandsreisen in Kontakt mit modernen Konsumgütern und westlicher Kultur gekommen seien. Auch die Grenze zu China sei längst nicht mehr hermetisch abgeriegelt. Nach und nach sickere so das Wissen um die restliche Welt und ihre Annehmlichkeiten durch. Konsumgüter und Luxusartikel seien zunehmend sogar im Land selbst erhältlich – und zwar auf dem Grauen Markt und gegen Euro in bar. Dieser Graue Markt werde inzwischen nicht nur stillschweigend toleriert, sondern akzeptiert: „Jede Funktionärsschicht schöpft da auch ab“, so Koschyk. Bisher spiele der gigantische Staatsapparat aber noch mit: „Man arrangiert sich; man schaut, dass die Familie gut durchkommt; dass man einen Teil des größer werdenden Kuchens abbekommt.“
Das müsse aber nicht so bleiben, ist Koschyk überzeugt. Er meint, dass eine Öffnung Nordkoreas schneller kommen könne als alle für möglich hielten – inklusive der Heerscharen südkoreanischer Wiedervereinigungs-Experten. Schließlich habe auch kaum jemand die deutsche Wiedervereinigung vorhergesehen. Selbst der Chef des Bundeskanzleramtes, der auf alle Geheimdienst-Erkenntnisse zugreifen konnte, habe im Frühjahr 1989 einen Mauerfall noch während des laufenden 20. Jahrhunderts für praktisch ausgeschlossen gehalten. Aber, so Koschyk, da irrte sich Wolfgang Schäuble gewaltig.