Ninjas in der Steppe und Sehnsucht nach Hackepeter
Recherchereise in die Mongolei im September 2011
Text und Fotos: Max Kuball
Es war ein langer Weg: Nach vielen Monaten der Planung landeten acht deutsche Journalisten Mitte September 2011 auf dem Flughafen von Ulaanbaatar in der fernen Mongolei. Über den Sommer hatte es mehrfach so ausgesehen, als würde die Reise am Finanziellen scheitern, die Suche nach Förderern war kompliziert und langwierig. Doch bekanntlich wird Hartnäckigkeit am Ende ja belohnt und so verlebte die Gruppe zehn intensive, lehrreiche und fröhliche Tage in der Mongolei.
Zum einen hatten wir Glück mit dem Wetter: Auch wenn es Mitte September in den Nächten schon empfindlich kalt werden kann (bei der Ankunft um 6 Uhr morgens zeigte das Thermometer –6 Grad), hatten wir fast durchgehend Sonnenschein, mittags wurde es oft fast 20 Grad warm. Der Schneefall an den letzten beiden Tagen zeigte uns, dass es auch anders hätte laufen können. Und auf dem Land zeigte sich, dass es den Indian Summer nicht nur in Nordamerika gibt: Das gelbe Herbstlaub der Birken vor dem stahlblauen Himmel ergab einen besonderen Reiz, den sonst nur wenige Touristen zu sehen bekommen.
Zum anderen spielte uns der Terminplan der Kanzlerin in die Hände: Irgendwann während der Vorbereitungen tauchte das Gerücht auf, die Kanzlerin wolle im Oktober die Mongolei besuchen und eine Rohstoff-Partnerschaft mit den Mongolen vereinbaren. Genau so kam es auch: Drei Wochen nach unserer Rückkehr war der mongolische Rohstoff-Reichtum dank der Kanzlerin auf einmal ein großes Thema – was den Teilnehmern das Verkaufen ihrer Artikel und Beiträge natürlich sehr erleichtert hat.
Denn die Recherchen zu den Rohstoffen der Mongolei und ihrer Verwertung waren auch für uns das beherrschende Thema. Mit Hilfe der deutschen Botschaft und unserer Förderer gelang es, Termine mit mehreren hochrangigen Politikern zu bekommen: Wir trafen Verteidigungsminister Bold, der auch für mongolisch-deutsche Beziehungen zuständig ist, und fragten ihn nach seinen Erwartungen an den Merkel-Besuch. Wir sprachen mit Rohstoffminister Zorigt über die Rohstoff-Partnerschaft und das Engagement der deutschen Firma BBM Operta bei der großen Kokskohle-Lagerstätte Oyu Tolgoi. Und der Abgeordnete und frühere Botschafter in Berlin, Terbishdagva, beichtete uns seine „Sehnsucht nach Hackepeter“. Alle drei äußerten zudem ziemlich offen ihre Kritik an den späten und noch immer zögerlichen Investitionen der Deutschen in ihrem Land.
Neben den politischen Gesprächen hatten wir auch die Möglichkeit, uns den Abbau der Rohstoffe mit eigenen Augen anzuschauen. Schnell wurde dabei klar: Die großen, oft von ausländischen Konzernen betriebenen Minen sind nur eine Seite der Medaille – die andere stellen Hunderttausende Mongolen dar, die im sogenannten „handwerklichen Bergbau“ auf eigene und mit der eigenen Faust Gold oder Kohle aus der Erde holen. In der Mongolei werden sie „Ninjas“ genannt: Wegen der gebückten Haltung und der Goldwasch-Pfanne auf dem Rücken sollen sie an die „Ninja Turtles“ aus der gleichnamigen Zeichentrick-Serie erinnern.
Gerade die beiden Begegnungen mit Ninjas waren absolute Highlights der Reise: Zum einen besuchten wir einige Goldgräber, die mitten in der Steppe einen einsamen Hügel bevölkern. Immer sechs Mann betreiben zusammen einen Stollen, in zwanzig Meter Tiefe versuchen sie der schmalen Goldader zu folgen. Mit der Hilfe von hochgiftigem Quecksilber werden die winzigen Körnchen Gold aus dem Gestein gewaschen. Arbeits- oder Umweltschutz sind hier genauso unbekannt wie bei ihren „Kollegen“, den Kohle-Ninjas von Nalaikh.
Dort, auf dem Gelände eines ehemaligen staatlichen Kohle-Kombinats, ging es womöglich noch apokalyptischer zu. Im Schatten der Ruine des alten Förderturms werkeln hier Tausende Glücksritter in einer Kraterlandschaft aus Stollen und Abraumhalden vor sich hin. Die Loren, Winden und Kompressoren machen Lärm; schwelender Müll, Kohlestaub und Dieselqualm sorgen für beißenden Gestank. Die Braunkohle, die ganz Ulaanbaatar mit Wärme versorgt, wird hier in 100 Meter Tiefe abgebaut: Wenn die Luftzufuhr durch Kompressoren und lange Schläuche ausfällt, sterben die Arbeiter unten innerhalb weniger Minuten.
Rund um diese spannenden Termine hatten wir eine Menge anderer aufregender Begegnungen: Ein bekannter mongolischer Talkmaster setzte uns auf die Spur einer Agenten-Story à la John le Carre. Wir übernachteten in typisch mongolischen Jurten und lernten den Unterschied zwischen Frauen- und Männerseite. Wir lauschten den Lebensbeichten von Alkoholabängigen, die im Gegenzug für Therapie und Unterbringung bei einer Hilfsorganisation zum Christentum übertreten mussten. Zu Besuch in der Villa des „Marschalls der Mongolei“ nahmen wir Platz am prunkvollen Schreibtisch der früheren kommunistischen Herrscher und fühlten uns wie Breschnew. Und wir sprachen in einem Dutzend weiterer Besprechungsräume mit örtlichen und internationalen NGOs, mit Journalisten(-schülern), mit Bankern, mit Tourismus-Unternehmern und Importeuren.
Unser Fazit ist, dass wir mit dem gerade massiv beginnenden Rohstoff-Boom und den damit einhergehenden Verteilungskämpfen einen nahezu idealen Zeitpunkt für die erste jn-Reise in die Mongolei erwischt haben. In den kommenden Jahren wird das Land einen massiven Wandel durchleben, der viel Aufschwung, aber auch viele Enttäuschungen mit sich bringen wird. Zudem waren wir eine fröhliche und interessierte Truppe. So haben wir am Ende mehr erlebt und erfahren, als wir uns erhofft hatten.
Die Reise in die Mongolei wurde organisiert und begleitet von Max Kuball (Deutschlandradio Kultur) und Oliver Bilger (Süddeutsche Zeitung). Wir danken den Unternehmen Lanxess, Liebherr und Westfracht Spezialverkehre sowie der Mongolian National Tourism Organzation und World Vision für ihre Unterstützung.