EU-Erweiterung: Die zwei „Neuen“
Recherchereise nach Bukarest und Sofia im November 2008
Text: Rita Nikolow
Rumänien und Bulgarien – das gehört für viele Europäer zusammen. Weil sie Nachbarländer sind und seit 2007 die beiden jüngsten Mitglieder der EU. Untereinander ist die Beziehung aber nicht gerade innig. Bulgaren und Rumänen wissen eigentlich erstaunlich wenig voneinander. Sechs Tage lang haben wir zu elft Bukarest und Sofia bereist und sind am Ende vollgestopft mit tausend Ideen, Eindrücken, ebenso vielen Böreks und allermindestens ebenso vielen Geschichten heimgekehrt. Um Korruption und Armut ging es in vielen Interviews und Begegnungen in den beiden Hauptstädten; zum Beispiel mit Rumäniens ehemaligem Ministerpräsidenten Adrian Nastase, den wir in seinem Wahlkreis besucht haben, zwei Wochen vor den rumänischen Parlamentswahlen.
Nastase schenkt uns rote Duftbäumchen, die nach Rosenöl stinken. Darauf sein Foto mit romantischem Softbrush-Effekt. Mit unschuldigem Blick fragt er uns: „What is corruption?“. Mitarbeiter von Transparency International haben uns erklärt, dass er das ganz gut selber wissen müsste: Schließlich wirft die Staatsanwaltschaft Nastase vor, während seiner Regierungszeit mehr als eine Million Euro Bestechungsgelder angenommen zu haben. Nastase hat diesen Geldsegen immer mit einer Erbschaft seiner „Tante Tamara“ begründet. Ermittlungen zufolge war sie aber bettelarm.
Heizen, heizen, heizen
Bullig warm ist es überall in Bukarest: im Bus und auf allen Terminen. Und im Hotel: Nach der ersten Nacht sitzen wir teigig aufgequollen beim Frühstück, mein Gesicht knallrot vor Dauerwärme. Später am Vormittag sieht uns der Busfahrer verächtlich an, als wir ihn darum bitten, die Temperatur ein wenig zu senken. Warum die Hauptstädter ihre Heizungen bis zum Anschlag aufdrehen, haben wird leider nicht herausgefunden.
Bei der Organisation Amare Rromentza lernen wir, wie Roma mit einem Schul- und Studienabschluss gegen Vorurteile kämpfen – und andere Roma-Familien dabei unterstützen, dass ihre Kinder gut ausgebildet werden, zum Beispiel zu Musikern. Verwundert hat uns, dass Vorurteile gegen Roma in Rumänien quasi zum guten Ton zu gehören scheinen – auch bei jungen Leuten. Nicht frei davon ist auch die 25-jährige Modebloggerin Gabriela Vlad, die sich zur Bukarester Avantgarde zählt. Mit ihrer modernen Sixties-Frisur wird sie wegen ihres „exotischen Aussehens“ häufig auf der Straße beschimpft. Doch auch sie ist überzeugt: Die „Zigeuner“ haben den Rumänen den guten Ruf kaputt gemacht.
Wahlkampf im Plattenbau
Wir begleiten den Kandidaten der Liberalen, Stefan Szobotka, beim Wahlkampf im Bukarester Problemkiez Pantelimon, einer gigantischen Plattenbausiedlung. Vor seinem Wahlkampfbüro ein zwei Stockwerke hohes Wahlplakat. Darauf sein Gesicht und, noch erstaunlicher, seine private Handynummer. Wir haben den Test gemacht und die Nummer angerufen: Stefan geht tatsächlich selbst ran. Umso merkwürdiger, dass gar nicht so viele potenzielle Wähler anrufen. Stefan geht mit uns und Dutzenden Helfern von Wohnblock zu Wohnblock. Er verteilt gelbe Dahlien an die Passanten und keine einzige davon landet auf dem Boden. Vor allem ältere Mütterchen freuen sich über das Blumengeschenk.
Unterwegs treffen wir einen Freund von Stefan, den Rapper Bitza. Der will sich zwar nicht zur Politik seines Freundes äußern, erklärt dafür aber, dass die amerikanischen Ghettos im Vergleich zu Pantelimon ein Kindergeburtstag sind. Aha.
Nicht viel Hoffnung
Nach drei Tagen Rumänien geht es mit dem Nachzug über die Donau nach Sofia. Im Zug suchen wir nach Reisenden, die uns erzählen, warum sie nach Bulgarien fahren. Leider ist der Zug fast leer, der Zugang vom zweiten zum dritten Waggon mit einem Tau verknotet. Trotzdem war die Fahrt ein irres Erlebnis, quasi post-sowjetisch.
In Bulgarien wird in diesem Sommer gewählt. Dass die Bulgaren nicht viel Hoffnung in die Politik setzen, erzählt uns der Historiker und Journalist Julian Angelov während einer anektdotenreichen Stadtführung durch Sofia. Viele hoffen allerdings auf den disziplinierenden Einfluss der EU – vor allem auf ein Ende der Korruption.
Kampf gegen die Bestechlichkeit
Gegen die Korruption kämpft in Bulgarien Meglena Plugtschieva, die auch Vizepremierministerin ist. Die ehemalige Botschafterin in Deutschland war im Frühjahr zurück nach Bulgarien gerufen worden, um Ordnung in den Fluss der Fördergelder zu bringen, die häufig in wenigen Taschen verschwinden. Dass es viel Arbeit gebe, räumt die Anti-Korruptions-Beauftragte ein. Aber sie betont auch, dass sich in Bulgarien schon viel getan habe. Die EU sah das anders: Während unseres Besuchs lagen Millionen Fördergelder auf Eis. Ende November wurde eine beträchtliche Summe dann unwiderruflich gestrichen.
Die Senkrechtstarter-Partei
Über die Medienlandschaft Bulgariens diskutierten wir mit Dirk Förger von der Konrad-Adenauer-Stiftung, und mit dem Kommentarchef der renommierten Tageszeitung Dnevnik, Dragomir Ivanov.
Die 30-jährige Bistra beweist uns, dass nicht alle Bulgaren ihren Optimismus verloren haben: mit Worten und vor allem mit ihrer positiven, mitreißenden Art. Sie arbeitet beim Monatsmagazin Edno, das über Lifestyle, Politik, Design und Mode berichtet. Und auch eigene Kulturveranstaltungen organisiert, im vergangen Jahr zum Beispiel ein Tanzfestival. Im Wohnzimmer-Restaurant eines in Köln lebenden Chilenen füllt uns Bistra mit Maissuppe ab. Den anschließenden Rakia in der Bar nebenan können wir unmöglich ablehnen. Weitere Ereignisse dieses Abends verschweigen wir.
Neue Parteien sind in Bulgarien nichts Besonderes. Ungewöhnlich erfolgreich ist im Moment die 2006 gegründete GERB (Bürger für die Europäische Entwicklung Bulgariens). Deren inoffizieller Vorsitzender ist Sofias Bürgermeister Boiko Borissov, ein Endvierziger und der ehemalige Trainer der bulgarischen Karate-Nationalmannschaft. Während unserer Begegnung im Rathaus von Sofia erzählt uns Borissov: Wenn ihn die Bulgaren wählen, kämpft er als Ministerpräsident gegen die Korruption, und gegen die Mafia, die großen Einfluss hat in Bulgarien. Wie? Ganz klar, indem er die Korrupten und Mafiosi einbuchtet. Justiz hin, Gewaltenteilung her: Was Bulgarien brauche, sei eine starke Hand. Borissovs eigene Vergangenheit ist, sagen wir mal, dabei durchaus nicht lupenrein.
Besuch bei den Medien
Gegen Ende der Reise werden wir selber zu Interviewgästen: In einer Jugendradiosendung des Nationales Rundfunks sprechen drei von uns mit der Moderatorin Assja Chaneva über Pressefreiheit in Deutschland. Das Studio erinnert uns an einen Besuch im Museum: Telefone mit Wählscheiben, die Sendung wird auf Band aufgezeichnet. Assja ist erstaunt, dass auch in Deutschland, und ja, sogar in der Schweiz viele Jugendliche Probleme haben, einen Job zu finden. Und auch, dass in Berlin gerade der Balkanpop so populär ist.
Zwei andere von uns werden beim bulgarischen Sender BBT gelöchert. Wohlgemerkt: Das Interview ist live. Die Dolmetscherin bringen wir selbst mit. Sie ist Politikwissenschaftlerin und übersetzt zum ersten Mal simultan, wobei es ihr gelingt, auch noch kleine inhaltliche Versprecher glatt zu bügeln. Es gibt kein Vorgespräch, kein Make-up, keine Erklärung zum Ablauf der Sendung, keine Diskussion. Dafür eine Menge kniffeliger Fragen. Eher Schulstunde als Interview. Da soll noch einer sagen, der Balkan habe keine Abenteuer mehr zu bieten…
Die Reise wurde organisiert und geleitet von Patricia Corniciuc (ARD, RBB, DRadio) und Nina Spranz (Die WELT). Unser Dank geht an die beiden Förderer, die Robert-Bosch-Stiftung und Germanwings. Für ihre großartige Hilfsbereitschaft danken wir den Mitarbeitern der Konrad-Adenauer-Stiftung Bukarest und Sofia, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest, der Hanns-Seidel-Stiftung und all unseren Gesprächspartnern in Sofia und Bukarest, die ihre Freizeit geopfert haben, um elf Journalisten in den glühendsten Farben die Licht- und Schattenseiten ihrer Länder zu erklären. Und die nicht müde wurden zu betonen, wir mögen bald wiederkommen. Machen wir!