Olympische Winterspiele unter Palmen

Recherchereise nach Sotschi im November 2013

Text: Lars Spannagel – Fotos: Friedel Taube

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Schon vor dem Start der Reise zeigt sich, wie sensibel das Thema „Sotschi 2014“ in Russland behandelt wird. Erst heißt es, ein normales Visum werde für die Einreise reichen. Dann teilt die russische Botschaft in Berlin kurzfristig mit, ohne eine Akkreditierung des Außenministeriums könne man zwar gerne in Sotschi landen, das Flughafengelände aber wohl eher nicht verlassen. Hektisch kümmern sich Organisatoren und Teilnehmer der jn-Recherchereise um Passfotos und Entsendungsschreiben ihrer Chefredakteure, per Kurier kommt alles gerade noch rechtzeitig in Moskau an. Am 9. November landen 13 Reisende – zwei Organisatoren, elf Teilnehmer zwischen 22 und 35 Jahren aus Print, Radio, TV und Online – sowie Dolmetscher Wladimir in Sotschi, um eine Woche lang die Vorbereitungen für die 22. Olympischen Winterspiele drei Monate vor dem Entzünden des olympischen Feuers umfassend und detailliert zu beobachten.

Das Internationale Olympische Komitee hat die Spiele sechs Jahre zuvor an die Schwarzmeerküste vergeben, seitdem ist in Sotschi kein Stein auf dem anderen geblieben. Für den russischen Traum von Winterspielen unter Palmen wurden mehr als 40 Milliarden Euro ausgegeben, der liebste Kurort der Russen auf den Kopf gestellt. Was das für die Stadt heißt, bekommen wir am ersten Tag bei einer Stadtführung demonstriert: Nach ein paar Minuten sind unsere Schuhe staubbedeckt, alle paar Meter verbreitet eine Baustelle Krach und Dreck. Dafür reicht ein T-Shirt als Oberbekleidung tagsüber völlig aus, am Strand des Schwarzen Meeres liegen einige Urlauber in der Novembersonne, bei Wassertemperaturen von 19 Grad sind sogar Badende zu beobachten. Am zweiten Tag erfahren wir, dass künftig deutlich mehr Touristen nach Sotschi kommen sollen. Paul Beck, niederländischer Geschäftsführer des „Sotschi Park“, informiert uns über die Pläne, Millionen Russen in die Stadt und seinen neuen Vergnügungspark zu locken. Hotelmanager Thomas Hagemann, Chef des Radisson Blu in unmittelbarer Nähe des Olympischen Dorfes, gibt einen Einblick, wie Sotschi die mehr als 40.000 neuen Hotelbetten füllen will.

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Sotschi wird umgekrempelt – nicht nur für Olympia. Aus dem traditionellen Sommer-Kurort aus Sowjetzeiten soll ein modernes Urlaubsziel für das ganze Jahr werden. Dafür bekommt die Stadt neue Straßen, neue Strom- und Gasleitungen, die gesamte Infrastruktur und das Verkehrsnetz werden ausgebaut. Oft gehen diese Veränderungen auf Kosten der Bürger von Sotschi, berichtet Hamlet Watjan, der das Sanatorium „Goldene Ähre“ leitet. „Der Hauptnachteil ist, dass Sotschi seinen Charakter als Kurort verliert“, sagt Watjan über die Verwandlung seiner Stadt. „Das ist unsere größte Sorge für die Zukunft.“ Ähnlich äußert sich Blogger Alexander Walow, der seine Leser über Geldverschwendung, Korruption und Behördenwillkür informiert: „Die Menschen in Sotschi verstehen jetzt, dass diese Spiele nicht für sie stattfinden. Es sind Spiele für Wladimir Putin und irgendwelche Leute, die damit Geld verdienen.“

Nach einem Tag freier Recherche bricht unsere Reisegruppe in den Kaukasus auf, um die Wettkampfstätten in den Bergen in Augenschein zu nehmen. Die neue Schnellstraße und die neue Bahntrasse, die durch das Bett des Flusse Msymta hoch zum olympischen „Mountain Cluster“ getrieben wurde, sind noch nicht eröffnet. Unser Minibus nimmt die alte und durch Baufahrzeuge seit Jahren verstopfte Bergstraße nach Krasnaja Poljana, per Gondel geht es hoch zur Biathlon-Strecke. Bis vor ein paar Jahren gab es hier nur Wald, jetzt hat der Staatskonzern Gazprom ein modernes Stadion errichtet. Der Pressesprecher des Stadions setzt kurz seine Sonnenbrille ab, um Interviews zu geben. „Baustellen in den Bergen sind immer schwierig“, sagt er lächelnd. „Natürlich tut es uns leid, dass wir Bäume fällen mussten.“ Auch in Rosa Khutor, wo wir die Nacht verbringen, standen früher Bäume. In Windeseile ist hier ein modernes Ski-Resort im Alpen-Look entstanden. Der ganze Ort gehört zum Imperium des Oligarchen Wladimir Potanin, die Geschäftsführung residiert in einem Gebäude, das wie das Rathaus eines Bergdorfs in Disneyland wirken soll. „Disneyland? Für mich sieht es hier eher aus wie in Sölden“, sagt einer unserer Gesprächspartner vom Olympia-Organisationskomitee.

Auch die Sportstätten im „Sea Cluster“ an der Küste sind allesamt neu errichtet, wir besichtigen die Eisschnelllauf-Arena Bolshoy-Eishalle, in der die russische Nationalmannschaft unbedingt Gold gewinnen soll. Wie die meisten unserer Gesprächspartner aus dem Umfeld der Olympia-Organisatoren redet auch die Sprecherin der Halle voller Stolz und Euphorie über die kommenden Spiele und das Bild, das Russland bei Olympia von sich zeigen wird. Kritische Fragen sorgen für Unverständnis und Aufregung – und bleiben letztlich unbeantwortet. Im Olympischen Dort werden Palmen gepflanzt und letzte Arbeiten an den Swimming Pools verrichtet. Nach den Spielen werden die Unterkünfte der Athleten in Ferienapartments des „Sochnoe All Seasons Resort“ umgewandelt. Wir können eine Musterwohnung besichtigen – komplett mit Meerblick von der Terrasse, eingerichtetem Kinderzimmer und gedecktem Esstisch. Noch nicht ganz so weit ist die Formel-1-Strecke, im Treppenhaus der Haupttribüne müssen wir in Ermangelung eines Geländers aufpassen, nicht in die Tiefe zu stürzen. Auf den Sandbergen der Baustelle tollen streunende Hunde umher.

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Im olympischen Eishockey-Stadion

Im Rathaus von Sotschi können wir endlich einige Fragen loswerden, die zuvor unbeantwortet geblieben sind. Allerdings ist auch die Leiterin der Olympia-Abteilung in der Stadtverwaltung, bei kritischen Themen wie Korruption und Ausbeutung von Arbeitern nicht allzu auskunftsfreudig. „Sotschi entspricht jetzt dem modernen Menschen und dem modernen Russland“, sagt Zhanna Grigorjewa, alle Vorwürfe würden von den zuständigen Stellen untersucht.

Gespräche mit der Bevölkerung von Sotschi, für die auch im dichten Programm der Reise immer wieder Zeit bleibt, zeigen ein zerrissenes Bild. Einerseits hofft man auf wirtschaftlichen Aufschwung, neue Jobs und einen höheren Lebensstandard. Andererseits haben die jahrelangen Bauarbeiten die Menschen zermürbt, die Bedürfnisse der normalen Bürger müssen oft hinter der nationalen Mammut-Aufgabe Olympia zurückstecken. Das erleben wir auch im Dorf Achstyr, das seit dem Bau der neuen Schnellstraße von fast allen Verkehrswegen abgeschnitten ist. Oberhalb des Orts sind zwei Steinbrüche entstanden, die Brunnen des Dorfs sind versiegt, dafür donnern Tag und Nacht Lastwagen durch die staubige Hauptstraße. „Wir leben hier in der Steinzeit“, sagt einer der Dorfbewohner.

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Die Reisegruppe mit Umweltschützer Kimajew

Umweltschützer Wladimir Kimajew führt uns zu den Steinbrüchen, die eigentlich in einem Naturschutzgebiet liegen, was aber wie so viele gesetzliche Regelungen rund um Olympia in Sotschi keine Rolle spielt. Kimajew könnte noch lange über die Auswüchse der olympischen Umweltzerstörung berichten, allein der Zustand der Msymta sei „ein Thema für weitere Stunden – es ist ein Verbrechen, was mit diesem Fluss passiert ist.“. Am Abend besuchen wir den Schwulen-Club „Cabaret Majak“ im Stadtzentrum und lernen, dass Homosexuelle in Sotschi trotz aller Drangsalierung und Diskriminierung noch ausgelassen und leidenschaftlich feiern können. Wir versuchen bei Wodka und Tanzwut mitzuhalten und steigen am nächsten Morgen nach wenigen Stunden Schlaf ins Flugzeug, um über Moskau nach Berlin-Schönefeld zurückzureisen.

Organisiert wurde die journalists.network-Reise vom 9. Januar bis 17. November 2013 nach Sotschi von Pauline Tillmann (freie Korrespondentin in Russland) und Friedel Taube (Deutsche Welle). Wir danken Ottobock, Kärcher und der Rezidor Hotel Group herzlich für die Unterstützung.