„Das Wichtigste ist aufrichtiges Interesse“
Michael Obert im Hintergrundgespräch über seine Arbeit
„Ich war zuerst Reisender und dann Reporter. Die Menschen haben mich erst zum Reporter gemacht.“ So beschreibt Michael Obert den Ausgangspunkt seiner Arbeit. Der preisgekrönte Journalist, der das Magazin der Süddeutschen Zeitung, die GEO oder auch internationale Zeitschriften mit seinen aufwändig recherchierten und außergewöhnlichen Geschichten schmückt, nahm sich im Hintergrundgespräch mit journalists.network viel Zeit für Fragen rund um Recherchen in gefährlichen Weltgegenden, Themenfindung, Absprachen mit Redaktionen – und seine Reporter-Akademie. Er erzählt, wie er mit Anfang 20 das Reisen für sich entdeckt, wie er beginnt, seine Erlebnisse und Begegnungen aufzuschreiben, wie er sie irgendwann Redaktionen anbietet. „Schulaufsätze drucken wir nicht“, so die ersten Reaktionen. Wie „professionelles“ Schreiben geht, bringt er sich dann mit Lehrbüchern selbst bei – seine Herangehensweise aber bleibt: „Das Wichtigste ist aufrichtiges Interesse. Nicht zwischen Journalist und Quelle, sondern das Interesse zwischen zwei Menschen.“
Dass Interesse nicht zwangsläufig Sympathie bedeutet, veranschaulicht Michael Oberts jüngste Reportage: In Libyen hat er jenen 30-jährigen Kommandeur begleitet, der – im Auftrag der EU und mit Waffengewalt – mit einem Patrouillenschiff Schlepper stoppen soll, die Flüchtende in Boote gen Europa setzen. Eindrücklich beschreibt Obert den rätselhaften Reichtum des Kommandeurs, seine Härte, gleichzeitig seine Rettungsaktionen von Migranten aus dem Meer. Und das Schussgefecht zwischen Küstenwache und Schleppern, in das sie unvermittelt geraten.
Obert arbeitet frei – mit allen Risiken und Freiheiten, persönlich wie finanziell. „19 von 20 Geschichten entwickele ich selbst“, erzählt er. Dabei ergeht es ihm, trotz aller Preise und Berufsjahre, wie vielen freien Journalisten: „Acht von zehn Themenideen werden abgelehnt.“ Viele seiner Geschichten spielen in Afrika, seit 20 Jahren bereist er den Kontinent. Früher sei es sehr schwer gewesen, Reportagen aus Afrika zu verkaufen. Redakteure in Deutschland winkten ab, oft wurde das mit fehlender „Relevanz“ begründet . Ein Schlagwort, auf das Obert gereizt reagiert – wenn Themen, die er für wirklich wichtig hält, erst bei einem aktuellen Anlass auf Interesse stoßen.
In den letzten Jahren allerdings stellt er eine wachsende Nachfrage nach Auslandsreportagen von freien Autoren fest. Viele Redaktionen hätten ihre Korrespondenten eingespart, nur noch ein sehr löchriges Netzwerk. Gleichzeitig sei das Interesse der Leser, auch migrationsbedingt, an Reportagen groß, müssen Magazine starke Themen setzen, um gekauft zu werden. Außerdem gebe es mittlerweile enorme Möglichkeiten für internationale Kooperationen von Reportern und Redaktionen, um gemeinsam auch aufwändige Geschichten zu stemmen. Obert sieht also viele Chancen für Auslandsreportagen und Reporter: „Es gibt diese finstere Wolke, die über der Branche hängt. Das kann ich nur sehr eingeschränkt nachvollziehen.“
Diesen Optimismus will er seit Kurzem im Rahmen einer Reporter-Akademie an den journalistischen Nachwuchs weitergeben. Zweimal im Jahr bietet er kostenpflichtige Workshops an, in denen es um das Komponieren einer gelungenen Reportage geht, aber auch um das finanzielle Überleben als Freier. Für Obert auch eine Möglichkeit, ein bisschen häufiger zuhause in Berlin zu sein. „Früher hatte ich Entzugserscheinungen, wenn ich nicht reisen konnte. Das ändert sich gerade.“ Kann also durchaus sein, dass sich unter die Reportagen aus Nigeria, Somalia und Libyen künftig mehr auch aus Berlin, Bayern oder Hessen mischen.