Wirtschaftliche Integration und politische Autonomie
Recherchereise nach China, Hongkong und Taiwan im Mai 2007
„Sie sind im falschen Jubiläumsjahr gekommen“, begrüßte uns Ex-Financial-Times-Korrespondent David Dodwell in Hongkong. Nicht die Rückgabe der Kronkolonie an China am 1. Juli 1997 sei das einschneidende Ereignis für die Hafenstadt gewesen, sagt Dodwell, der mittlerweile als Regierungs- und Logistikberater tätig ist. „2008 ist das eigentliche Jubiläumsjahr“, fügte er hinzu. Dann jähre sich zum 30. Mal die Einleitung der wirtschaftlichen Öffnungspolitik in China durch den ehemaligen chinesischen Staatslenker Deng Xiaopings. Die Öffnung der Volksrepublik habe Hongkong stärker geprägt als alle anderen Ereignisse der Vergangenheit zusammengenommen.
Tatsächlich profitiert heute die Hafenmetropole wirtschaftlich vom China-Boom. „Wir sind in letzter Zeit ziemlich bullish gewesen“, sagte etwa Asien-Analyst Enoch Fung von Goldman Sachs. Wie stark Industrie, Handel und Dienstleistungen von der Integration der Stadt in die südchinesische Perlfluss-Region, die größte Exportzone der Welt, abhängen, davon überzeugten sich 14 Teilnehmer auf der diesjährigen China-Reise vom 12. bis 23. Mai nach Hongkong, China und Taiwan.
Im Gespräch mit Regierungsvertretern, Opposition, Hafenbetreibern, Unternehmern, Menschenrechtlern wurde vielen klar, dass die Stadt zehn Jahre nach der Rückgabe an China vor allem eines dem Wirtschaftswachstum unterwirft: die im Grundgesetz vorgeschriebene Demokratisierung hin zu einem freien Wahlsystem. „Demokratie, was ist das?“, antworteten Hongkonger Bürger den mitreisenden Radio-Journalisten ins Mikro auf die Frage, wie wichtig ihnen freie Wahlen sind. Oder, wie es der Vorsitzende der Liberalen Partei, James Tien, sagte: „Demokratie ist zu teuer für Hongkong.“
In der Hongkong auf dem chinesischen Festland gegenüber liegenden Millionenstadt Shenzhen, der ersten Sonderwirtschaftszone Chinas, kam er dann, der Kulturschock: Zwölf Arbeiter wohnen in einem Zimmer, Fließbandarbeit in der Sommerhitze ohne Klimaanlage – unser erster Termin führte uns in die Fabrik des Ventilatorenherstellers Airmate. Dass die 20-jährige Shu Ye dennoch froh ist, bei Airmate zu arbeiten, hat einen einfachen Grund. „Die Arbeitsverhältnisse hier gelten als vorbildlich“, erklärte uns Holger Kunz, Leiter des TÜV Rheinland in Shenzhen. Wie China heute versucht, die Region zu einem High-Tech-Standort zu entwickeln, davon konnten wir uns bei einem Besuch des Telekom-Ausrüsters und Siemens-Konkurrenten Huawei überzeugen. Der riesige Campus mit seinen Gebäuden aus Glas, Stahl und Beton, den BMW- und Mercedes-Fahrzeugen auf dem Firmenparkplatz hatte mehr mit dem Silicon Valley gemeinsam als mit Airmate.
„Nur ein Satz, Taiwan ist nicht ein Teil von China“, brüllte uns Rapper Schweinekopfhaut entgegen. Im Hintergrund spielte eine Band Cover-Versionen, Schweinekopfhaut stieß mit uns in der Disco, in die er uns in Taipeh mitgenommen hatte, auf ein Bier an. „Willkommen in Taiwan!“ Ein-Land-Zwei-Systeme: Gerne würde Peking die politische Formel, unter der die kommunistische Regierung die Sonderverwaltungszone Hongkong kontrolliert, auch auf Taiwan übertragen. Im Gespräch mit Künstlern, Politikern, Unternehmern und Akademiker erfuhren wir, dass sich vor allem junge Taiwanesen zunehmend von der Idee einer Wiedervereinigung aber verabschiedet haben. Auf eine rasche Unabhängigkeitserklärung sind die Taiwanesen aber auch nicht aus, die Erhaltung des Status quo scheint ihnen die beste Lösung. Präsident Chen Shuibian, bekannt für Provokationen gen Peking, gab sich im Interview ungewohnt versöhnlich. „Wir haben absolut nicht die Absicht, die Olympischen Spiele für Störaktionen zu nutzen, die unnötige Spannungen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße verursachen könnten“, sagte uns Chen. Zum Abschluss unserer Reise erhielten wir ein Gruppenbild mit Präsident.
Organisiert wurde die Reise von jn-Vorstand Sabine Muscat (Financial Times Deutschland), Kirstin Wenk (Axel Springer Verlag) und Astrid Maier (Financial Times Deutschland). Wir danken ganz herzlich unseren Sponsoren und Unterstützern Imperial Tobacco, Oasis Hongkong Airlines, TÜV Rheinland, dem Taiwan Government Information Office (GIO) sowie dem Hongkong Trade and Development Council (HTDC).