Türkei: „Es geht um alles bei dieser Wahl“

Hintergrundgespräch mit Cem Sey am 2. Juni 2015 in Berlin

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Foto: Klaus Heymach

Am 7. Juni wurde in der Türkei gewählt und dabei stand viel auf dem Spiel: Würde die regierende AKP ihre absolute Mehrheit behaupten können? Würde Präsident Erdogan anschließend das angekündigte Präsidialsystem einführen können? Oder kommt die Kurden-Partei HDP über die Zehn-Prozent-Hürde und verhindert Erdogans Machtfestigung?

Diese und viele weitere Aspekte waren Thema beim jn-Hintergrundgespräch zu den türkischen Parlamentswahlen am 2. Juni in Berlin. Mitten in Kreuzberg und dank gutem Wetter sogar draußen schilderte uns Cem Sey, deutsch-türkischer Journalist und jn-Mitglied, seine Sicht auf die aktuellen Vorgänge in der Türkei.

Eindringlich warnte Sey vor den Plänen Erdogans, ein Präsidialsystem einführen zu wollen. Darin hätten Parteien nur noch beratende Funktion, der Präsident bestimme dann hingegen alles, von der Person des Ministerpräsidenten bis zur Parlamentsauflösung. Sey, der lange in Kabul gelebt hat, zog daher das Fazit: „Das Präsidialsystem in Afghanistan ist demokratischer als das, was Erdogan vorgeschlagen hat.“

Ein weiterer Schwerpunkt des Abends lag auf dem Annäherungsprozess der Türkei an die EU. Natürlich sei es um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei in den letzten Jahren sehr still geworden, die Reformen ins Stocken geraten, so Sey. Und doch gingen die Verhandlungen zwischen Ankara und Brüssel im Stillen weiter. Und auch die Reformen, die bisher in den Verhandlungen erreicht wurden, hätten bereits vieles bewirkt: „Die Gezi-Bewegung hätte nicht stattfinden können ohne europäische Reformen.“

Außerdem werde die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft ganz neuen Schwung bekommen, sollte Erdogans AKP die absolute Mehrheit verpassen: „Wenn wir keinen Bürgerkrieg kriegen, dann kriegt der EU-Beitritt eine ganz neue Perspektive“, prophezeite Sey, der hauptsächlich für CNN Türk arbeitet.

„Zuhören, was die Afghanen wollen“

Gespräch mit Adrienne Woltersdorf und Cem Sey am 6. Mai 2015 in Berlin

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Fotos: Max Kuball

Die Internationalen Truppen (ISAF) sind zum Jahreswechsel aus Afghanistan abgezogen, auch Deutschland hat seine Soldaten vom Hindukusch zurückbeordert – aber manches ist in Afghanistan geblieben: Vor allem die Probleme, die der 2001 als internationale Anti-Terror-Mission begonnene Militär-Einsatz längst gelöst haben wollte. Oder muss es sogar heißen: Nach 13 Jahren gelöst haben SOLLTE?

Das war eine der großen Fragen im Hintergrundgespräch mit Adrienne Woltersdorf und Cem Sey am 6. Mai in Berlin. Das Journalisten-Paar ist erst im März nach drei Jahren Leben und Arbeiten in und aus Afghanistan nach Deutschland zurückgekehrt. Weiterlesen …

Ukraine: „Nicht nur eine Krise“

Hintergrundgespräch mit Vladimir Esipov am 8. Februar 2015 in Berlin

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Fotos: Michael Stürzenhofecker

Spätestens seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise ist offensichtlich, dass Russland und den Westen derzeit politisch mehr trennt als verbindet. Das Verhalten Wladimir Putins gibt vielen in Europa und Amerika Rätsel auf. Was treibt ihn an? Wohin steuert er Russland?

Auskunft darüber gab Vladimir Esipov, Chefredakteur von GEO-Russland, in einem Hintergrundgesprach für journalists.network. Esipov gehört zu den ersten Organisatoren einer JN-Recherchereise (1995 nach Moskau). Bevor er 2008 die Leitung der russischen Ausgabe von GEO übernahm, arbeitete er für Die Zeit und die ARD in Moskau. Er ist Absolvent der Henri-Nannen-Schule. Die Diskussion wurde moderiert von unseren Vorstandsmitgliedern Jenny Marrenbach und Michael Stürzenhofecker. Weiterlesen …

„Mehr als Bundeswehr und unterdrückte Frauen“

Afghanistan-Gespräch mit Adrienne Woltersdorf im April 2013

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Sicherheit, Demokratie, Frauenrechte – es gibt viele Themen, über die man im Zusammenhang mit Afghanistan kontrovers diskutieren kann. Das haben wir am 14. April 2013 in Berlin getan: beim Hintergrundgespräch mit den jn-Alumni Adrienne Woltersdorf (Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul) und Cem Rifat Sey (freier Journalist).

Dabei kritisierte Adrienne Woltersdorf die deutschen Medien scharf: Zum einen glänzten sie durch Abwesenheit (in Kabul gibt es keine ständigen Korrespondenten aus Deutschland). Zum anderen herrsche die Auffassung, man könne nur mithilfe der Bundeswehr „embedded“ aus Afghanistan berichten: „Kein Flug, keine Story“. So komme es aber zu verzerrten Darstellungen – beispielsweise über die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan, die im Land selber nur ein „kleiner Player“ sei.

Ein weiteres Missverständnis sieht Adrienne Woltersdorf bei der „Frau als Headline“: In Deutschland würde der Eindruck erweckt, in Afghanistan gehe es nicht um die Bekämpfung von Al-Quaida und Kämpfern der Taliban, sondern um die „Befreiung der Frau“. Der mediale Fokus auf unterdrückte Frauen und Hilfsprojekte, die afghanische Frauen unterstützen, könnten diese jedoch in Gefahr bringen: „Man wird sich an den Frauen rächen, sobald die ausländischen Truppen abgezogen sind.“

Adrienne Woltersdorf beobachtet einen „neuen Konservativismus“ in Afghanistan, den sie auch als Gegenreaktion auf die „belehrende Demokratie“ der westlichen Truppensteller sieht: Es werde selten auf Augenhöhe diskutiert, so dass bei vielen Afghanen der Eindruck entstanden sei, dass „die Demokratie dazu da ist, ihnen die Religion wegzunehmen.“ Sie selbst beobachtet Tendenzen der Radikalisierung: „Die Burka kommt zurück.“

Mit liebenden Augen und exklusivem Blick

Gespräch mit Charlotte Wiedemann im April 2012 in Berlin

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Fotos: Klaus Heymach

Charlotte Wiedemann hat als Auslandsjournalistin in den letzten 15 Jahren 22 muslimisch geprägte Länder bereist. Im Hintergrundgespräch am 18. April 2012 erzählte sie von ihrer Arbeit und sprach über die Perspektiven des Auslandsjournalismus.

Charlotte Wiedemann zählt zu den erfahrensten und profiliertesten freien Auslandsreporterinnen Deutschlands. Sie arbeitete zunächst als politische Korrespondentin und Redakteurin in Deutschland und lebte von 1999 bis 2003 in Malaysia. Aus dem südostasiatischen Raum verfasste sie Reportagen für die Weltwoche und GEO. Seit acht Jahren zieht es die Journalistin vor allem in „islamische Lebenswelten“, sie schrieb zahlreiche Reportagen aus Nordafrika, der Türkei, Saudi-Arabien, Syrien, Pakistan und dem Iran.

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Der Krieg der Anderen

Filmabend und Diskussion mit Martin Gerner im Januar 2012

Fotos: Klaus Heymach

Fotos: Klaus Heymach

Sitzt die Frisur? Passt die Lederjacke? Wann werde ich mich, mit Gottes Hilfe, zum ersten Mal verlieben? Auch das sind Fragen, die sich junge Männer und Frauen in Afghanistan stellen. Im Alltag am Hindukusch geht es nicht nur um Krieg und Frieden, das ist eine der Kernbotschaften des preisgekrönten Dokumentarfilms von Martin Gerner. Junge Menschen drehen hier Spielfilme, machen Radio, träumen von Demokratie – und von der großen Liebe.

Doch im nächsten Moment sind die beiden ausgebrannten Tanklastwagen im Bild, ein Greis erzählt von den toten Kindern und Cousins. Im September 2009 hatte hier ein deutscher Offizier den fatalen Befehl erteilt, zwei von Taliban entführte Tanklaster zu bombardieren. Bis zu 142 Menschen wurden dabei nach NATO-Einschätzung getötet.

„Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen“ illustriert zwei Seiten von Afghanistan: den Krieg und den ganz normalen Alltag. Am 20. Januar 2012 zeigte der freie Afghanistan-Korrespondent Martin Gerner seinen Dokumentarfilm im Berliner taz-Café, auf einer gemeinsamen Veranstaltung von journalists.network und taz, die tageszeitung. Organisiert und moderiert wurde der Abend von jn-Mitglied Sven Hansen (taz-Auslandsredaktion). Weiterlesen …

„Keine Geschichte ist es wert, dafür in Stücke geschnitten zu werden.“

Erfahrungsaustausch mit Michael Obert im Dezember 2011

Foto: Klaus Heymach

Foto: Klaus Heymach

Der Reporter Michael Obert („Weltränder“, „Gesichter des Islam“) hat den Niger von der Quelle bis zur Mündung befahren, er hat Island bereist, Botswana, Neuguina und Afghanistan. Im Frühjahr hat der 45-Jährige die Revolution in Ägypten miterlebt, anschließend ist er nach Somalia weitergereist. Zuletzt recherchierte der Buchautor und Journalist in Zentralafrika.

Beim Gespräch im Dezember 2011 in der Berliner Orient Lounge erzählte Obert davon, wie er solche Reisen plant und wie er vor Ort recherchiert, von Reißbrett-Aufträge aus den Redaktionen, den Kosten für einen Fixer in Somalia und seinem geplanten Kino-Dokumentarfilm über einen weißen Pygmäen. Weiterlesen …

Der steinige Weg zur Meinungsfreiheit

Afghanische Journalisten diskutieren mit deutschen Kollegen

Text: Stephanie Lob – Fotos: Dirk Liesemer

Foto: Dirk Liesemer

„Die Mullahs haben immer noch ein größeres Publikum als alle afghanischen Medien.“ Das sagt Shahir Zahine, Präsident der Killid Media Group, die in Afghanistan fünf Radiosender und zwei Wochenmagazine betreibt. Die Aussage mag zugespitzt sein, aber sie verdeutlicht das Problem: Auch zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban kämpfen Journalisten am Hindukusch noch immer um die Meinungshoheit. Über den steinigen Weg hin zu einer Mediendemokratie diskutierten am 30. November und 1. Dezember 2011 in Bonn fünf afghanische und neun deutsche Journalisten auf Einladung von journalists.network, dem Entwicklungshilfe-Dachverband VENRO und dem freien ARD-Autor und Afghanistan-Korrespondenten Martin Gerner, der die Veranstaltung auch moderierte. Weiterlesen …

E-Mail vom Zensor

journalists.network-Alumni bei Hamburger Medien-Konferenz

Foto: Markus Wierz

Foto: Markus Wierz

Internet, Chinternet oder Chintranet? Wie schafft es die chinesische Führung, 450 Millionen Usern auf die Finger zu schauen? Wie zensiert fühlen sich die Chinesen? Und was hat es mit der berüchtigten 5-Cent-Partei auf sich? Antworten fanden die Teilnehmer der netzwerk-recherche-Medienkonferenz im Juli 2011 bei einem der von journalists.network angebotenen Experten-Panels.

Adrienne Woltersdorf, Leiterin der China-Redaktion der Deutschen Welle, Beirat und langjährige Reiseorganisatorin bei journalists.network, gab aufschlussreiche und kritische Einblicke in das chinesische Zensur-System. Sie berichtete von bezahlten Bloggern, die auf Zuruf das chinesische Netz mit regierungsfreundlichen Nachrichten überschwemmen, von den Spitzel-Methoden eines Hightech-Staates, der missliebiges Verhalten zunächst mit drohenden Mails ahndet und seinen Kritikern schließlich den Online-Zugang blockiert. Weiterlesen …

100 Jahre Republik China zwischen Unabhängigkeit und Versöhnung

Hintergrundgespräch mit Wu-lien Wei, Repräsentant Taipehs, im Mai 2011

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Die Republik China hat ihren 100. Geburtstag gefeiert. Ihre Anhänger regieren seit mehr als fünfzig Jahren jedoch nur die Insel Taiwan. Sie mussten 1949 vor den Truppen der Volksrepublik auf das Eiland fliehen. Präsident Ma setzt auf einen „Wandel durch Versöhnung“ mit Peking. Mehr als 1,6 Millionen Chinesen besuchen jährlich die Insel. Direkte Gespräche zwischen Taiwan und China gibt es bis heute nicht. Zwei Stiftungen sollen für den Wandel sorgen. Sie verhandeln Abkommen über Postverkehr, Lebensmittelsicherheit, Flugverkehr oder Rechtshilfe.

„Unsere Politik läuft auf einen Erhalt des Status quo heraus“, erklärte am 16. Mai 2011 Wu-lien Wei, Repräsentant der Republik China, bei einem Gespräch mit journalists.network in der Berliner Taipeh Vertretung. Es sei eine Politik der drei Neins: keine Wiedervereinigung, keine Unabhängigkeit, keine militärische Gewalt. Dafür machen sich die Vertreter der Republik China auch im Deutschen Bundestag stark. „Wir haben rund 60 befreundete Abgeordnete“, erzählt Wei. Weiterlesen …